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Erste wissenschaftliche Darstellungen


Betrachtete man die Pflanzen bislang in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit für und der Wirkung auf den Menschen, folgte in einer späteren Zeitepoche die Beschäftigung mit den Pflanzen an sich. Man verglich sie mit den Tieren und stellte fest, daß letztere dem Menschen näher stehen als die Pflanzen.

Aus der philosophischen Schule der Pythagoräer ist EMPEDOKLES aus Agrigent (Akragas) der bekannteste. Nach ihm besteht die Welt aus vier Elementen: Wasser und Feuer, Erde und Luft. Als Elemente sind sie ewig und unveränderlich, und nur durch wechselseitige Anziehung und Abstoßung derselben erklärt sich die Entstehung und der Untergang der Körper. Er lehrte, daß Pflanzen ebenso wie Tiere eine Seele hätten, die verlangen und sich betrüben könne, ja sogar Verstand und Vernunft habe. Die Richtung der Zweige und Blätter gegen die Sonne und die Wiederherstellung dieser Richtung, wenn sie niedergebeugt werden, schien die beseelte Natur zu bestätigen. Die Pflanzen seien früher entstanden als die Tiere. Es gäbe keinesfalls eine Einheit in ihrem Organismus, sondern jeder Teil lebe für sich.

Von ARISTOTELES (geb. 384 v. Chr. in Stagira auf Chalkidike, gest. 322 v. Chr. in Chalkis), dessen umfangreiches Werk über das Tierreich Jahrhunderte geprägt hat, ist wenig über seine Arbeiten an Pflanzen überliefert. Doch in vielen seiner erhaltenen Werke finden sich Hinweise auf die Natur der Pflanzen. Er sah, daß die Dinge in der Natur klassifizierbar waren und daß es ein Kontinuum von unbelebten Dingen zu den belebten Tieren gab. Den Pflanzen ordnete er eine Mittelstellung zu und ging davon aus, daß es Übergänge zwischen ihnen und den Tieren gäbe. So zweifelte er bei verschiedenen Meeresbewohnern, ob sie der einen oder der anderen Gruppe zuzuordnen seien.

Den Begriff "Seele", der bis über die Renaissance hinaus immer wiederkehrt, würde man heute durch den Ausdruck "Leben" ersetzen und die alte Problematik in die Fragen kleiden: Was ist Leben? Warum lebt eine Pflanze, wodurch unterscheiden sich Pflanzen von toter Materie ?

Antworten auf solche Fragen wurden immer wieder gegeben. ARISTOTELES schreibt dem Leben (der Seele) Denken und Empfinden zu, die Fähigkeit zur Bewegung und im Zusammenhang mit der Ernährung das Wachstum. Er erkannte die Beziehung zwischen Nahrungsaufnahme (bei Pflanzen durch die Wurzel aus der Erde) und dem Wachstum in alle Richtungen. Im Gegensatz zu den Tieren sei das Weibliche nicht vom Männlichen getrennt, die Pflanze habe beide Geschlechter in sich. Der Hauptzweck der Vegetation sei der Fruchtansatz und die Fortpflanzung.

Der bedeutendste und einflußreichste Botaniker des Altertums war ARISTOTELES' Schüler THEOPHRAST (Tyrtamus aus Erebos auf Lesbos: 371-286 v. Chr.), der den Nachlaß (einschließlich der Bibliothek) seines Lehrers übernahm und weiter bearbeitete. Die entscheidende Periode seines Lebens verbrachte er, ebenso wie vor ihm ARISTOTELES, in Athen. Er versammelte eine große Zahl von Schülern um sich und betreute den ersten wissenschaftlichen Botanischen Garten (über dessen Größe, Pflanzenbestand und Bestandsdauer nichts überliefert ist). THEOPHRAST verfaßte zwei überlieferte Schriften:

1. Die Naturgeschichte der Gewächse
2. Über die Ursache des Pflanzenwuchses

Beide Werke gelangten in der Mitte des 15. Jahrhunderts in den mitteleuropäischen (abendländischen) Kulturkreis. Durch den Griechen T. GAZA wurden sie auf Veranlassung von Papst NIKOLAUS V. ins Lateinische übersetzt (1483 in Treviso gedruckt). Die Übersetzung soll fehlerhaft sein, die ihr zugrunde liegende Handschrift ging verloren. Eine weitere Fassung erschien 1497, die teils weniger und teils mehr Mängel als die vorangegangene aufwies. Die erste Bearbeitung in deutscher Sprache wurde 1822 von K. SPRENGEL herausgebracht. Lange Zeit bildeten THEOPHRASTs Werke eine unabänderliche Richtschnur, nach der Pflanzenkunde gelehrt und verstanden wurde. Es sind Werke der allgemeinen Botanik. Pflanzenarten werden daher eher beiläufig erwähnt, und es ist oft schwer zu rekonstruieren, welche Arten wirklich gemeint sind. THEOPHRASTs Wissen über ausländische Arten war lückenhaft, obwohl er auch über sie berichtet. Seinerzeit waren den Griechen durch die Feldzüge Alexanders des Großen Indien, Persien, Baktrien, Syrien, Ägypten und Libyen bekannt. Die Reiseberichte der Begleiter Alexanders waren jedoch meist unzuverlässig und oft widersprüchlich.

Wegen des kulturgeschichtlich bedeutenden Einflusses sollen im folgenden die wichtigsten Gedankengänge und Begriffe aus THEOPHRASTs Werken zusammenfassend skizziert werden, allein schon um darzulegen, wie vielfältig das Wissen über Pflanzen in der Antike war und nach welchen Kriterien die Erkenntnisse systematisiert und geordnet wurden. Weitgehend unberücksichtigt bleiben dabei eine Reihe von Fehldeutungen, falschen Verallgemeinerungen sowie Irrtümern, die auf ungenauen Abschriften und Übersetzungen beruhen.


Die Naturgeschichte der Gewächse

Das Werk besteht aus neun Büchern:

1. Anatomie der Gewächse: Blüte, Kätzchen, Blatt, Frucht, Saft, Fasern, Kernholz. Stamm: große Verschiedenheiten in bezug auf Höhe und Festigkeit, Beschaffenheit und Schichtung und das Abblättern der Rinde. Innerer Bau: holzig oder fleischig, Knoten, Dornen. Wurzeln: bald zahlreich wie bei Getreide, bald einzelne Pfahlwurzeln, tief eindringend oder oberflächlich, verschieden in Glätte und Festigkeit, mit häufigem oder geringem Wurzelausschlag. Bei vielen Gartenpflanzen rübenartig verdickt, Luftwurzeln (beim Indischen Feigenbaum). Blätter: große Mannigfaltigkeit in Form, Richtung, Stand und Beschaffenheit. Samen: verlangen besonders Feuchtigkeit und Wärme. Bei deren Mangel keimen sie nicht. Sie liegen bald unmittelbar unter der äußeren Hülle, einzeln oder zu mehreren, bald sind sie von Fleisch und Schalen umschlossen, bald liegen sie in einer Hülse oder einer Haut (Weizen, Hirse) oder einem Fruchtbehälter (Mohn und Mohnartige). Blüten: Einige bestehen nur aus "Fäserchen" (Weinstock, Maulbeerbaum), andere sind blättrig. Bald ist die Blütenhülle einfarbig, bald zweifarbig (Kelch und Krone). Die Blüten der Bäume sind meist einfach (weißlich), mit Ausnahme des Granatbaums und einiger Mandelarten: Einige Blüten sind auch unfruchtbar.

Bäume und überhaupt Pflanzen erwachsen aus Samen, aus der Wurzel, aus Ausläufern, Ästen, Reisern und bei einigen sogar aus dem Stamm, wenn man ihn in kleine Stücke zerlegt. THEOPHRAST bemerkte auch, daß sich Kulturbäume bei einer Vermehrung durch Samen in der Regel verschlechtern und sich den "wilden" angleichen. Die "wilden" Bäume hingegen ändern sich dabei nicht und bewahren so ihre Art. Die Keimfähigkeit der Samen nimmt mit dem Alter ab. Nach dem vierten Jahr hört sie meist auf. Die Hülsenfrüchte behalten ihre Keimfähigkeit länger. Insekten befördern das Reifen der Früchte. Standort und Klima beeinflussen das Pflanzenwachstum. Kultivierte Pflanzen werden oft von Krankheiten befallen, die wilden fast nie. Dieser Darstellung schließt sich ein System der Pflanzen an. THEOPHRAST unterscheidet: Bäume, Sträucher, Stauden und Kräuter.

2.-5. Holzpflanzen

2. "zahme" und deren Pflege
3. wilde
4. ausländische Bäume und Sträucher, Lebensdauer, und Krankheiten
5. Eigenschaften und Unterschiede der Hölzer und die Art, sie zu behandeln. Natürliche Fortpflanzungs- und Vermehrungsarten. Künstliche Befruchtung einer weiblichen Palme durch die Blütentraube einer männlichen. Verbreitung der Samen (z.B. durch Regengüsse, Überschwemmungen und Vögel)

6. Stauden. Zuerst die wilden, bei denen dornige von dornenlosen unterschieden werden, dann die "zahmen" (darunter auch Zierpflanzen)

7. Gemüsepflanzen und deren Kultur: wilde Pflanzen; Ackerpflanzen, die als Gemüsepflanzen nutzbar sind; Kräuter

8. Getreide: Halmfrüchte und Hülsenfrüchte (letztere wurden seinerzeit zu den Getreiden gezählt)

9. Säfte und Arzneikräfte


Über die Ursache des Pflanzenwuchses

Dieses Werk besteht aus sechs Büchern:

  1. Übersicht über die verschiedenen Arten der Entstehung, Vermehrung und des Wachstums der Pflanzen. Die Pflanzen entstehen aus Samen, von selbst oder aus Teilen der Mutterpflanze. Einige nur auf eine, andere auf mehrere der genannten Arten.

  2. Von den Veränderungen, welche die Pflanzen (vornehmlich die Bäume) von außen her erleiden, und zwar durch Natureinflüsse:

  3. Von Veränderungen, die die Pflanzen durch Kultur erleiden.

  4. Entstehung und Vermehrung der Getreidearten

  5. Von dem, was den Pflanzen Unnatürliches zustößt oder durch künstliche Einflüsse zugefügt wird: Krankheiten, Tod

  6. Vom Geruch und Geschmack der Pflanze


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de