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Lektine


Lektine sind zuckerbindende Proteine mit der Eigenschaft, Zellen zu agglutinieren und/oder Glykokonjugate (= Moleküle mit einem Kohlenhydratanteil (Polysaccharide, Glykoprotein, Glykolipide u.a.) zu präzipitieren.

Da sie ursprünglich nur aus Pflanzenextrakten isoliert worden sind und zur Agglutination von Blutzellen (Erythrozyten) eingesetzt wurden, sprach man zunächst von Phytohaemagglutininen. Später stellte es sich heraus, daß sie auch aus tierischen Organen (vornehmlich der Invertebraten) zu gewinnen sind und daß keineswegs alle an Erythrozyten binden. W. C. BOYD und E. SLAPEIGH führten daher 1954 den Begriff Lektin (lat: legere = auswählen) ein. Lektine besitzen mindestens zwei Zuckerbindungsstellen, sonst wäre ihr Agglutinations-/Präzipitationsvermögen nicht erklärbar. In der Tat bestehen die meisten von ihnen aus zwei, vier oder mehr meist gleichartigen Untereinheiten. Ihre Spezifität wird durch jenes Mono- oder Oligosaccharid definiert, welches das Agglutinationsvermögen kompetitiv inhibiert.

Die Affinität eines Lektins zu Zellen oder Makromolekülen (Liganden) liegt um Größenordnungen über der zu einzelnen Zuckern. Daraus wurde geschlossen, daß es bei der Bindung der Liganden nicht nur auf die Kohlenhydratanteile ankommt, sondern daß zusätzliche, unspezifische Protein-Protein- Wechselwirkungen (schwache Bindungen) den Komplex stabilisieren. Man kennt beispielsweise eine Reihe von Lektinen (so z.B. RCA, PNA, SBA) mit einer Affinität zu beta-D-Galactosylresten, doch findet man deutliche Unterschiede in ihrem Bindungsvermögen zu bestimmten Zellen oder Glykoproteinen. Einen großen Einfluß übt die sterische Lage der Kohlenhydrate an der Molekül- oder Zelloberfläche aus; sie müssen für das Lektin zugänglich sein. Wegen der strukturellen Komplexität der Liganden werden die lektinbindenden Moleküle üblicherweise als Lektinrezeptoren bezeichnet. Trotz gewisser Unsicherheiten bezüglich ihrer chemischen Charakterisierung werden Lektine in den letzten Jahrzehnten in steigendem Umfang in der medizinischen Grundlagenforschung eingesetzt. Sie eignen sich, um bestimmte Zelltypen oder Zellfragmente (z.B. Membrantypen) zu charakterisieren, Zellen in verschiedenen Entwicklungsstadien zu erkennen, normale von Tumorzellen zu unterscheiden, die verschiedenen Phasen des Zellzyklus zu markieren und verschiedene Zelltypen affinitätschromatographisch voneinander zu trennen.

Durch Konjugation an Fluoreszenmarker erhielt man geeignete Sonden zur Lokalisation von Glykokonjugaten in Zellen oder an Zelloberflächen. Eine entsprechende Markierung der Lektine mit elektronendichten Substanzen (Ferredoxin, kolloidalem Gold u.a.) machte sie zu geeigneten Hilfsmitteln in der Elektronenmikroskopie. Bisher gibt es allerdings noch nicht sehr viele derartige Untersuchungen an Pflanzenzellen.

Obwohl einige der beschriebenen Eigenschaften auch auf Antikörper zutreffen, haben sie und die Lektine nicht viel gemeinsam:

Die Antikörpersynthese ist induzierbar, die Lektinsynthese nicht.
Antikörper können gegen jede beliebige Determinante gerichtet sein. Lektine nur gegen ein begrenztes Sortiment an Zuckermolekülen.

Die Antikörperproteinstrukturen sind alle nach dem gleichen Bauplan konstruiert (sie sind phylogenetisch untereinander verwandt). Lektine gehören unterschiedlichen Proteinfamilien an. Eher könnte man sie daher mit Enzymen vergleichen, denen die katalytischen Eigenschaften fehlen.

Die Proteinstrukturen des ConA und des WGA sind bekannt. Die Polypeptidkette des ConA besteht aus 237 Aminosäureresten; die Tertiärstruktur zeichnet sich durch einen außergewöhnlich hohen beta-Faltblattanteil aus, das aktive Molekül ist ein Tetramer.


Das in Vicia faba vorkommende Favin weist einige überraschende Übereinstimmungen mit dem ConA auf. Es enthält zwei ungleich lange Polypeptidketten (alpha und beta). Die alpha-Kette ist dem Abschnitt 70-119 der ConA-Polypeptidkette homolog, die beta-Kette den Abschnitten 120-237, gefolgt von 1-69. Wir haben es also hier mit einer "zyklischen Permutation" von Polypeptidabschnitten zu tun. Solange keine weiteren Daten vorliegen, läßt sich jedoch nicht entscheiden, ob die ConA-Sequenz die ältere ist und Favin durch Herausnahme des Mittelstücks und einen Platzwechsel der beiden Außenstücke entstand oder ob das ConA durch Fusion der zwei Polypeptidketten des Favins gebildet wurde.

Die Polypeptidkette des WGA enthält 164 Aminosäurereste, darunter zahlreiche disulfidbrückenbildende Cysteinreste.

Die Aminosäurekette faltet sich zu einer Tertiärstruktur, die aus vier Domänen (A,B,C,D) besteht. Zwischen A, B und C, D ist, wie bei vielen Enzymen, eine Spalte vorhanden. Die Zuckerbindungsstellen liegen aber nicht dort, sondern an der Molekülaußenseite. Ist das vielleicht der Grund dafür, daß WGA nicht als Enzym wirkt? An der Außenseite herrschen nicht die "besonderen Bedingungen", durch die sich ein aktives Zentrum eines Enzyms auszeichnet.

Der Vergleich der Tertiärstrukturen von ConA und WGA macht deutlich, daß keine Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Es ist eher so, daß die Domänen A, B, C und D des WGA sich untereinander sehr ähnlich sind. Man muß daher annehmen, daß das Gen für WGA durch zwei aufeinanderfolgende Duplikationen eines Urgens entstanden ist.

Aufgrund vorhandener serologischer Kreuzreaktionen ließ sich zeigen, daß verschiedene Gramineen Lektine enthalten, die mit dem WGA serologisch und damit wohl auch strukturell verwandt sind. Offenbar liegt hier eine Proteinfamilie vor. Die Lektine der Leguminosen sind durchweg Metalloproteine. Ob das auch auf eine phylogenetische Verwandtschaft hinweist, bleibt offen.

Welche Bedeutung haben die Lektine für die Pflanze? Es ist hinlänglich bekannt, daß Zuckerreste an Zelloberflächen vorhanden sind und daß einzelne Zelltypen, respektive deren Entwicklungsstadien, sich durch ihr Kohlenhydratmuster voneinander unterscheiden.

Es war daher naheliegend zu testen, ob Lektine an Erkennungsprozessen mitwirken. Die Beteiligung bestimmter Lektine ließ sich für folgende Fälle belegen:

Zell-Zell-Erkennung, z.B. Paarungstypen bei Algen (Chlamydomonas) u.a.);
Pollen-Stigma-Interaktion.
Erkennung von Symbiosepartnern, z.B. bei der Bindung von Rhizobium-Arten an Wurzelhaaren der spezifischen Wirtspflanzenarten (hier: Leguminosen).
Erkennung von parasitären Pilzen und nachfolgende Induktion von Abwehrmechanismen der Pflanzen.

Viele der Lektine sind intrazellulär lokalisiert, zum Teil kommen sie dort in beträchtlichen Mengen vor, doch welche Bedeutung ihnen zukommt, ist weitgehend unbekannt. Sie reagieren mit Speicherproteinen, wobei die Affinität zum arteigenen Speicherprotein weit höher ist als zu einem artfremden. Hieraus wurde geschlossen (S.-K. M. BASHA und R. M. ROBERTS, 1981), daß sie die Proteine komplexieren und sie so in eine kompakte unlösliche Form überführen, in der sie in der Zelle besser lagerfähig sind als in gelöstem Zustand.

Viele Lektine sind toxisch und bieten der Pflanze möglicherweise einen Schutz vor Freßfeinden. Zum Beispiel wirkt das Lektin der Gartenbohne (Phaseolus vulgaris) auf den Käfer Callosobruchus maculatus letal. Das Ricinus communis Agglutinin (RCA) enthält eine für alle Tiere und den Menschen hochgiftige Komponente, das Ricin. Im Experiment mit tierischen Zellen wurde gezeigt, daß einige Lektine in geringen Konzentrationen zellteilungsfördernd wirken (daher auch die Bezeichnung Mitogene). Inwieweit das für die Pflanzen von Bedeutung ist, bleibt zu klären.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de