Ende der sechziger Jahre zeichnete es sich ab, daß Eukaryotengenome im Gegensatz zu Prokaryotengenomen einen hohen Anteil nicht-codierender, meist repetitiver Nukleotidsequenzen (repetitive DNS) enthalten. Einen ersten Hinweis hierauf ergaben Renaturierungskinetiken isolierter, "geschmolzener" DNS. Unter Schmelzen der DNS versteht man das Lösen der Wasserstoffbrücken durch Erhitzen und den sich daraus ergebenden Zerfall eines Doppelstrangs in die beiden einander komplementären Einzelstränge . Bei nachfolgender Abkühlung des Reaktionsgemisches vereinigen sich (reassoziieren) die Einzelstränge. Der alte Zustand (DNS-Doppelstrang) wird wieder hergestellt, die DNS ist renaturiert. Die Reassoziationsgeschwindigkeit hängt von der Menge einander komplementärer Einzelstränge und damit von der Komplexität des DNS-Gemisches (= Genoms) ab.
Würde es zwischen Nukleotidsequenzen eines großen Eukaryotengenoms [mit einem Umfang von angenommen 1012 Basenpaaren] keinerlei Gemeinsamkeiten geben, wäre die Wahrscheinlichkeit, daß ein DNS-Einzelstrangfragment (mit einer angenommenen Länge von 1000 Nukleotiden) seinen komplementären Partner findet, 1: 0,5 x 10-9. Es würde daher Wochen oder Monate dauern, bevor sich zufällig aufgrund thermischer Bewegung einzelne "richtige" Partner finden und damit Doppelstränge ausbilden würden.
Die Realität sieht anders aus. Ein beträchtlicher Teil solcher DNS-Einzelstrangfragmente renaturiert in kürzester Zeit, ein weiterer nach deutlich längerer, aber immerhin noch relativ kurzer Zeit, und nur eine dritte Fraktion renaturiert sehr langsam. Bei den verschiedenen Pflanzen- (und Tier-)arten ist das Verhältnis dieser drei Fraktionen zueinander unterschiedlich. Die drei DNS-Fraktionen heißen hochrepetitive, mittelrepetitive und singuläre Nukleotidsequenzen. Im allgemeinen Sprachgebrauch haben sich auch die Ausdrücke hochrepetitive, mittelrepetitive und singuläre DNS eingebürgert. Der Anteil repetitiver DNS kann bei einigen Arten weit über 90 Prozent der Gesamt-DNS ausmachen. Über den Informationsgehalt und die Funktion der DNS ist durch diese Analysen zunächst noch nichts gesagt.
Selbstverständlich war man schon immer bemüht, die biologische Bedeutung der einzelnen Fraktionen zu klären. Dabei zeigte sich, daß codierende Abschnitte (Gene) in der Regel singulär sind. Das heißt aber nicht, daß die gesamte singuläre DNS mit aktiven Genen gleichzusetzen sei. Von einigen wenigen Genen, z.B. den Histongenen oder den Genen für rRNS und tRNS, weiß man, daß sie in zahlreichen Kopien vorliegen. Autoradiographisch ließ sich zeigen, daß gleichartige Gene meist hintereinandergeschaltet sind und daß solche Ansammlungen (cluster) auf mehreren Chromosomen lokalisiert sein können.
Der überwiegende Teil der hochrepetitiven DNS ist nichtcodierend und bildet die Hauptmenge des (konstitutiven) Heterochromatins. Die mittelrepetitiven (und schwach repetitiven) Sequenzen sind in regelmäßigen Abständen über das Gesamtgenom verstreut (interspersed pattern). Ihnen fällt offensichtlich eine wichtige Rolle bei der Regulation der Genexpression und für die Rekombinationshäufigkeit zu.
Nach diesen Vorbetrachtungen ist es wichtig, sich einen Überblick über die Anteile der einzelnen Fraktionen bei möglichst vielen Arten zu verschaffen, um einen Einblick in die Organisation des Pflanzengenoms zu gewinnen und abzuschätzen, wie das Verhältnis codierender zu nicht-codierender DNS ist. Wie vermerkt, genügt es dabei nicht allein, das Verhältnis singulärer zu repetitiver DNS zu ermitteln. Vielmehr ist es wichtig, alle Transkriptionsprodukte (RNS) zu erfassen, um deren Komplexität zu errechnen und in Beziehung zur Komplexität der DNS zu setzen. Zu dem letzten Teilproblem liegen für pflanzliche Genome erst sehr wenige Angaben vor. W. WENZEL und V. HEMLEBEN (Institut für Biologie, Universität Tübingen) haben 1982 bis dahin veröffentlichte Angaben über Angiospermengenome gesammelt und tabellarisch zusammengestellt.
Ein erstes wichtiges, den zusammengefaßten Daten zu entnehmendes Ergebnis ist die Feststellung, daß sich das Verhältnis singuläre/repetitive DNS (S/R) bei Monokotyledonen signifikant von dem bei Dikotyledonen unterscheidet.
Ferner zeichneten sich die beiden folgenden Beziehungen ab:
Kleine, nahezu konstante Genomgröße (bezogen auf 1C) bei gleichzeitiger starker Variation des Verhältnisses S/R. Diese Korrelation gilt für fast alle Dikotyledonen
Große, variable Genome mit niedrigem S/R-Verhältnis. Dieses findet man bei Monokotyledonen und bei einigen wenigen Dikotyledonen (z.B. den Ranunculaceen).
Das heißt, daß Taxa der Gruppe (1) sich vorwiegend durch selektive Unter- oder Überreplikation von singulärer und/oder repetitiver DNS verändern, wobei die Gesamtgenomgröße weitgehend unverändert bleibt. In Gruppe (2) hingegen werden singuläre und repetitive Sequenzen gleichzeitig reduziert (oder vervielfacht). Die Folge davon ist eine variable Genomgröße. Pflanzen dieser Gruppe sind offenbar prädestiniert, neue Gene (mutierte Allele) zu akkumulieren, z.B. Teile des Genoms selektiv zu vervielfachen (= zu amplifizieren), um dann solche Gene beizubehalten, die adaptiven Wert besitzen.
Monokotyledonen besitzen oft sehr große Chromosomen; diese haben eine geringere Neigung zur Polyploidisierung als kleine. Polyploidie erreicht daher, wenn man von Ausnahmen, wie z.B. den Gramineen und Cyperaceen absieht, dort bei weitem nicht das Ausmaß, das bei den Dikotyledonen in Erscheinung tritt. Deren Genom ist, wie wir gesehen haben, relativ klein. Vergrößerungen durch Polyploidisierung und damit Rekombination zwischen verschiedenen, aber verwandten Genomen ist üblich.
Die Variation des Verhältnisses S/R wirkt sich in der Expression des Genoms aus, was wiederum an einer Vergrößerung der Phänotypvariation erkennbar ist. Diese Strategie erwies sich als erfolgreicher als die der meisten Monokotyledonen, deren Formenvielfalt weit geringer als die der Dikotyledonen ist, ihre Fähigkeit zur adaptiven Radiation, d.h. zur Besiedlung neuer Lebensräume, ist eingeschränkt.
Insgesamt scheinen große Mengen an hochrepetitiver DNS dem Rekombinationsvermögen und damit dem Umbau von Genomen entgegenzustehen.
Eine Parallele hierzu findet man im Tierreich. Anuren (Frösche) haben große Genome (viel repetitive DNS) und sehen alle nahezu gleich aus. Mammalia haben sehr kleine Genome, von Art zu Art variierende Chromosomenzahlen, und zeichnen sich durch eine Vielfalt von Formen und Leistungen aus. Man denke dabei nur an die Unterschiede zwischen Fledermaus, Wal und Mensch. Das bisher Gesagte und ergänzende Experimente, Beobachtungen und Überlegungen führten zu dem Schluß, daß mittelrepetitive DNS am Rekombinationsvermögen der DNS mitwirkt. Aber: DNS alleine kann sich nicht umbauen. Benötigt werden dafür Enzyme sowie bestimmte Nukleotidsequenzen, die von jenen selektiv erkannt werden. Erkannte DNS-Abschnitte können dann entfernt und ggf. an anderer (ebenfalls spezifischer) Stelle inseriert (wieder eingebaut) werden. Cytologisch sind derartige Umbauten an den besprochenen Chromosomenmutationen (und vorangegangenen Abschnitt: Bandierungstechnik) erkennbar, auf DNS-Ebene kann sich der Umbau in einer Veränderung des S/R-Verhältnisses auswirken. Die molekularen Ursachen liegen damit, wie gerade angedeutet, in der Eigenschaft bestimmter DNS-Abschnitte (unter Mitwirkung einschlägiger Enzyme), zu "wandern" oder zu "springen". Damit wären wir bei den bereits genannten mobilen oder springenden (wandernden) genetischen Elementen. Bevor wir die Einzelheiten der skizzierten Mechanismen aber im Detail verstehen werden, werden wohl noch einige Jahre vergehen.
Bei verschiedenen Angiospermengattungen geht Spezialisierung mit der Reduktion der Genomgröße einher. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Compositengattung Microseris. Spezialisierung ist nicht allein mit Abnahme der Größe, Übergang von perennierender zu annueller Lebensweise, und Wechsel von Allogamie zu Autogamie verknüpft, sondern bedingt zugleich auch eine Reduktion der Variabilität eines jeden morphologischen Merkmals. Im Verlauf des Spezialisierungsprozesses ist bei Microseris-Arten DNS aller drei Fraktionen verlorengegangen. Am Beispiel der rRNS-Gene wurde gezeigt, daß auch die Zahl aktiver Gene im Verlauf der Spezialisierung rückläufig ist.
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