Der Ausdruck Ökosystem wurde 1935 durch den britischen Ökologen A. G. TANSLEY geprägt. Er definierte damit eine Einheit, die alle Organismen in einem gegebenen Areal, sowie deren Beziehungen zur anorganischen Umwelt umfaßt. Die Organismen innerhalb eines Ökosystems bilden eine Lebensgemeinschaft, eine Biozönose; ihre unbelebte Umwelt bezeichnet man als Lebensraum oder Biotop. Die Gesamtheit aller Ökosysteme auf der Erde ist die Biosphäre.
Ökosystem ist ein operationaler Begriff, denn er beschreibt Einheiten, die weniger klar zu fassen sind als etwa ein Molekül, eine Zelle oder eine Art. Es liegt daher im Ermessen eines Bearbeiters, was er als Ökosystem bezeichnet. So können beispielsweise ein See, ein Schilfgürtel, ein Wald oder ein Getreidefeld als ein solches definiert und beschrieben werden. Wie sich aus der Systemtheorie ableiten läßt, kann jedes System aus einer Anzahl von Teilsystemen bestehen. Es hängt daher vor allem von praktischen Erwägungen ab, mit welcher Komplexitätsstufe man sich auseinandersetzen möchte.
Es wird daher zwischen einfach und komplex strukturierten, zwischen aquatischen und terrestrischen, zwischen natürlichen und vom Menschen beeinflußten Ökosystemen unterschieden. Zu den außergewöhnlich komplexen, d.h., besonders artenreichen Systemen gehören der tropische Regenwald und die Korallenriffe.
Systeme sind bekanntlich mehr als nur die Summe von Leistungen der Systemelemente (Glieder), denn zwischen ihnen bestehen zahlreiche, oft spezifische und fast immer geregelte Beziehungen. Geregelte Systeme wiederum sind durch Rückkopplungen und damit durch einen hohen Grad an Stabilität gekennzeichnet. Sie sind daher gegenüber Störungen weitgehend unempfindlich. Je höher die Zahl der Systemelemente und die Zahl der Wechselwirkungen untereinander ist, desto wirkungsvoller können Schwankungen ausgeglichen werden. Und doch hat jedes System nur eine beschränkte Kapazität. Es gibt eine Kapazitätsgrenze, nach deren Überschreiten es entweder nicht mehr in seine ursprüngliche Ausgangslage zurückkehrt oder sogar irreversibel zerstört wird (Regelkatastrophe). Ökosysteme mit nur wenigen Systemelementen sind extrem störanfällig. Man denke dabei nur an eine Fichtenmonokultur oder ein Getreidefeld. Das Gleichgewicht in ihnen kann nur durch stabilisierende (energieaufwendige) Maßnahmen (Einsatz von Insektiziden u.a.) aufrechterhalten werden. Andererseits können sie nach einer Zerstörung unschwer neu errichtet werden. Komplexe Systeme sind zunächst einmal sehr stark belastbar. Sie verfügen über eine hohe Pufferkapazität. Eine Zerstörung hingegen kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Ein einmal zerstörter tropischer Regenwald oder ein einmal zerstörtes Korallenriff sind für immer verloren.
Natürliche oder naturnahe Ökosysteme haben dem Einfluß der Menschen über Jahrhunderte standgehalten, doch immer deutlicher zeichnet sich ab, daß die Grenzen der Belastung erreicht, oft sogar überschritten sind. Die Ökologie ist daher im vergangenen Jahrzehnt in steigendem Maße ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Umweltschutz wurde zu einem zentralen Thema der Innenpolitik der Bundesrepublik und anderer Industrienationen. Viele Studenten studieren nur deshalb Biologie, weil sie an Umweltfragen interessiert sind, doch die Mehrzahl von ihnen erlebt Enttäuschungen, weil Studieninhalte, politisches Tagesgeschehen und manche persönlichen Vorstellungen nicht miteinander in Einklang zu bringen sind.
Die Ökologie kann keine politischen Probleme lösen, kann vor allem keine schnelle Entscheidungshilfe anbieten, um kurzfristig auftauchende Fragen zu beantworten. Man muß, wenn man in einer menschlichen Gesellschaft etwas erreichen möchte, wissen, wie sie strukturiert ist, wie sie funktioniert, wer die Entscheidungsträger sind, welche Veränderungen durchsetzbar sind und wie man Änderungsprozesse am wirkungsvollsten einleitet. Erfolge, die durch Organisationen wie Greenpeace u.a. erzielt werden, haben maßgeblich dazu beigetragen, ein Umweltbewußtsein unter Politikern und in der Öffentlichkeit zu wecken, doch sind sie kein Ersatz für ein Studium der Ökologie, andererseits qualifiziert ein Biologiestudium mit Schwerpunkt Ökologie niemanden als Politiker oder Greenpeace-Mitarbeiter.
Ökologie ist eine integrierende Wissenschaft. Ökologisches Arbeiten ist ein Unterfangen, bei dem langjährige Berufserfahrung, ein Detailwissen über Pflanzen, Tiere oder Mikroorganismen, eine fundierte Artenkenntnis und/oder das Beherrschen physikalischer und chemischer Meßmethoden mehr zählen als spontanes politisches Handeln. Kaum jemand verfügt über alle aufgeführten Voraussetzungen. Eine Kooperation zwischen Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen ist daher der sinnvollste Weg, um sich dem Ziel zu nähern; ein gutes Wissenschaftsmanagement ist erforderlich, um die Aktivitäten der einzelnen am Projekt beteiligten Wissenschaftler zu koordinieren.
Ökosysteme sind einem ständigen Wechsel unterworfen. Änderungen oder Störungen beruhen nicht nur auf menschlichem Zutun. Die Evolution der Organismen und ihre Adaptation an variable Umweltbedingungen sind die Hauptursachen der Änderungen und damit auch einer Evolution von Ökosystemen. Eine Aufeinanderfolge unterschiedlich strukturierter Systeme unter gleichbleibenden abiotischen Bedingungen wird Sukzession genannt. In Mitteleuropa zum Beispiel gelten bestimmte Waldtypen als das stabilste System. Man nennt dann ein solches eine Klimaxgesellschaft (oder eine Klimax). Derartige Endglieder von Entwicklungen können jedoch nur solange existieren, solange die Umweltbedingungen konstant bleiben. In erdgeschichtlicher Zeit hat es wiederholt drastische Klimaänderungen gegeben, die zum Aussterben ganzer Pflanzengruppen und damit auch zum Ersatz einst stabiler Ökosysteme durch andere geführt haben. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang das irreversible Verschwinden der Steinkohlenwälder oder der voreiszeitlichen Vegetation in Mittel- und Nordeuropa. Nach dem Zurückweichen des Eises wurde das Land vom Süden her erneut besiedelt. Wie aber der Vergleich der rezenten mittel- und nordeuropäischen Flora mit der nordamerikanischen zeigt, ist erstere deutlich artenärmer. In Nordamerika, das nur zum geringen Teil von Eis bedeckt war, konnte sich eine Artenvielfalt halten, wie sie voreiszeitlich auch in Europa zu finden war.
Gravierende Auswirkungen auf alle Ökosysteme hatte natürlich die Umwandlung der Natur- in eine Kulturlandschaft. Oftmals sind dabei neue, unter Umständen ebenfalls schützenswerte Ökosysteme entstanden, die unter natürlichen Bedingungen (an den entsprechenden Standorten) nicht existieren könnten. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür sind die Calluna vulgaris-Flächen in der Lüneburger Heide. Ohne eine regelmäßige Beweidung (durch Heidschnucken) würden sie durch Birken-Kiefern-Wälder zurückgedrängt werden.
© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de