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Vegetationsentwicklung und Sukzessionen


Das Phänomen Sukzession hat uns schon mehrfach beschäftigt. Da fossiler Pollen, vor allem seit dem Pleistozän, in leidlich gutem Zustand und ausreichender Menge vorhanden ist, ließ sich die Entwicklung der nacheiszeitlichen Vegetation in Mitteleuropa recht gut rekonstruieren. In vielen Fällen konnte durch 14C-Datierung eine verläßliche Zeitskala ermittelt werden. Die Ergebnisse ließen nicht nur Rückschlüsse auf Moorbildungen und das Vorrücken der Wälder nach dem Zurückweichen des Eises zu, sondern auch Aussagen über den Beginn und den Grad der Abholzung mitteleuropäischer Wälder, denn seit dem Mittelalter nahm der Anteil der Pollen von Kräutern im Verhältnis zum Anteil der Pollen von Bäumen stetig zu.

Die nacheiszeitliche Vegetationsgeschichte im Pollendiagramm, erstellt bei Süderlügum (Schleswig). Die Eichung der Zeitskala erfolgte durch Messung des C-14-Gehalts der Proben, die Eichwerte sind durch die waagerechten Linien markiert. Das Diagramm zeigt, daß es eine Sukzession der Baumarten gegeben hat. Zunächst waren Pinus und Betula dominierend, später folgten Corylus, Quercus, Alnus, in jüngster Zeit trat Fraxinus stark in den Vordergrund. Rechts im Bild zwei krautige Arten: Caprinus und Plantago lanceolata (Nach K. KUBITZKI und K. O. MÜNNICH, 1960).

Das Konzept der Sukzession fußt auf der Annahme, daß ein Standort durch die Vegetation verändert wird und daß diese Änderung ihrerseits eine Änderung der Vegetation nach sich zieht, selbst wenn alle übrigen Faktoren (vornehmlich das Klima) gleich bleiben. Man unterscheidet daher zwischen primärer Sukzession, zum Beispiel Besiedlung eines Felssturzes durch Flechten, Moose, dann Kräuter, Sträucher und schließlich Bäume (Wald), und sekundärer Sukzession, d.h., Wiederherste,lung einer Vegetation, die durch menschliches Zutun oder natürliche Ursachen (z.B. Blitzschlag) zerstört wurde.

Die Erscheinung der Konkurrenz ist Ursache dafür, daß die einzelnen Organismenarten nur auf einen Teil der für sie prinzipiell besiedelbaren Standorte beschränkt sind. Dieser Sachverhalt hat zur Definition des Nischenkonzepts geführt. Unter ökologischer Nische versteht man nicht nur einen räumlich / zeitlichen Ausschnitt der Umwelt, sondern die Gesamtheit der abiotischen und biotischen Umweltgegebenheiten, die eine Pflanzen- oder Tierpopulation nutzt. Aus dem Nischenkonzept ergibt sich auch, daß Arten mit ähnlichen Ansprüchen einander ökologisch ausschließen (complete competitors cannot coexist !). An anderer Stelle haben wir uns mit dem Phänomen Koexistenz auseinandergesetzt und dabei das Ergebnis eines Experiments mit zwei Kleearten in Mischkultur vorgestellt. Beide Arten (Trifolium repens und Trifolium fragiferum ) koexistieren unter Einbuße maximaler Leistung. Der Grund dafür liegt in einer zeitlichen Verschiebung der Wachstumsphasen beider Arten sowie unterschiedlicher Wachstumsformen. Trifolium repens entwickelt sich zeitlich früher, erreicht daher zunächst die größere Blattdichte. Trifolium fragiferum hat längere Blattstiele und kann daher zu einem späteren Zeitpunkt die bereits existierende Blattdecke überwachsen und die erste Art an ihrer weiteren Entwicklung hemmen. Für eine Koexistenz am gleichen Ort zur gleichen Zeit lassen sich vier Kriterien nennen:

  1. Unterschiedliche Ernährungsbedingungen (z.B. Leguminosen mit Stickstoffeigenversorgung einerseits, alle übrigen Pflanzen andererseits).

  2. Verschiedene Ursachen der Sterblichkeit (z.B. unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber Beweidung).

  3. Unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber Toxinen (siehe eingangs genannte Beispiele).

  4. Empfindlichkeit gegenüber einem bestimmten Faktor in verschiedenen Entwicklungsstadien.

Sukzessionen lassen sich demnach durch drei zum Teil schon genannte Kriterien beschreiben:

  1. Eine Sukzession ist ein wohlgeordneter Prozeß der Entwicklung eines Systems, in dessen Verlauf sich die Artenzusammensetzung ändert und damit auch das System selbst. Die Entwicklung ist gerichtet.

  2. Die durch die Organismen bedingten Veränderungen wirken sich auf die physikalische Umwelt aus. Die Sukzession wird von den Organismen selbst hervorgerufen. Die physikalische Umwelt bestimmt lediglich das Muster und die Geschwindigkeit der Veränderungen.

  3. Die Sukzession endet in stabilen Ökosystemen, die sich durch größtmögliche Biomasse (hohe Informationsverwertung) und einen hohen Anteil an Wechselwirkungen zwischen den Arten auszeichnen.

Die frühen Entwicklungsstadien werden Pionierstadien genannt, das letzte die Klimax. Sukzessionen kann man auch als Evolution von Ökosystemen bezeichnen. Eine Artverdrängung im Verlauf der Sukzession erfolgt zwangsläufig, weil alle zusammen (= das Ökosystem) die physikalische Umwelt verändern und damit gewissen Arten die Existenzgrundlage nehmen und anderen eine neue bieten. Der Verdrängungsprozeß setzt sich so lange fort, bis eine Artzusammensetzung entstanden ist, die sich im Gleichgewicht zwischen belebter und unbelebter Umwelt befindet. Hierbei kommt es zu drastischen Veränderungen im Energiefluß durch das System. In steigendem Maße wird Energie nur noch zur Erhaltung des Systems (nicht zur Produktion zusätzlicher Biomasse) benötigt.

Bezeichnet man die Bruttoprimärproduktion eines Systems mit R und die Atmung aller Systemelemente mit P, lassen sich die Beziehungen P / R > 1 als Autotrophie, P / R < 1 als Heterotrophie klassifizieren. Solange P > R, reichert sich Biomasse und tote organische Substanz an, die Zuwachsrate nimmt stetig ab und beginnt schließlich zu sinken. Mit anderen Worten: Im Verlauf einer Sukzession ändert sich der Charakter des Systems von autotroph zu heterotroph. Typische Klimaxgesellschaften sind die Wälder mit einem hohen Anteil an Holzpflanzen. Damit ist ein scheinbares Paradoxon vorgezeichnet, denn aus der Evolutionsforschung an Pflanzen weiß man, daß bei Angiospermen Holzpflanzen ursprünglicher als Kräuter sind. Das Paradoxon löst sich, wenn man berücksichtigt, daß eine Klimaxgesellschaft nur unter gleichbleibenden abiotischen Umweltfaktoren (hauptsächlich Klima) existieren kann. Daß diese Voraussetzungen jedoch kaum je gegeben sind, weiß man auch. Derartige Klimaänderungen und die Gegebenheiten in den meisten Gebieten der Erde (zu trocken, zu feucht oder zu kalt) lassen die Ausbildung oder das Überleben von Wäldern nicht zu, und hier liegen die Chancen der Kräuter. Wie auch schon dargelegt, sind riesige Waldflächen durch menschliche Kulturmaßnahmen gerodet worden. Dennoch sieht es so aus, als würde die jährliche Biomasseproduktion auch heute noch steigen. Die Entstehung der Kräuter ist demnach eine erfolgreiche (opportunistische) Evolutionsstrategie der Pflanzen, um sich in einer variablen Umgebung zu behaupten und so genetische Information zu erhalten. Die Selektion greift bekanntlich am Individuum, nicht an ganzen Pflanzengesellschaften an.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de