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Italienfahrt - Ernst Haeckel

Messina, 5. 11. 1859

Brief Nr. 51

. . . Wenn das Material zur Arbeit mir nur halb so reichlich wie bisher zufließt, werde ich hinreichend durch interessante Arbeit beschäftigt sein, um das Heimweh nicht übermäßig stark werden zu lassen. Die vergangene Woche ist mir dabei wieder so rasch verstrichen, daß ich mich heute ordentlich wunderte, zu hören, das morgen schon wieder Sonntag sei. Die Masse der mir täglich zugebrachten schönen Sachen ist so groß, daß ich kaum den 50sten Teil bewältigen kann und oft vor lauter Zweifel, was zuerst zu tun sei, kaum zur eigentlichen Untersuchung komme. Bei dieser selbst schwinden die Stunden blitzesschnell, und immer zu früh ruft mich Dr. B. zu Tisch. Bisher habe ich noch nicht einmal mein Versprechen an Allmers gehalten, Sonntag nur hinauszugehen und zu zeichnen und zu malen. Die reizenden Tierchen hielten mich immer zurück, zumal die wundervollen pelagischen Kristalltiere aus den Ordnungen der Pteropoden, Heteropoden, Siphonophoren und Radiolarien, die ich bisher nur aus Abbildungen kannte.

Letzten Sonntag (30. 10.) nachmittag kam ich zum erstenmal aus der Stadt hinaus, indem Herr Klostermann mich zu einem kleinen Spaziergang abholte. Wir gingen in der Fiumare S. Michele (nördlich der Stadt) hinauf und erkletterten von da aus eine sehr steile, dicht mit Eichengebüsch und Erdbeerbäumen bedeckte Höhe, von der wir einen prächtigen Blick auf die Stadt, Kalabrien und die ganze Meerenge hatten, die von hier, wie überhaupt von vielen Punkten der Umgegend, mehr wie ein mächtiger Strom aussieht, der die beiderseitigen Küsten eine lange Strecke in paralleler Krümmung nebeneinander hinziehen. Dabei lernte ich eine neue schöne Frucht kennen, die großen pupurroten, feinaromatischen Beeren des Erdbeerbaumes (der von Horaz viel besungenen Arbutus), dassen immergrüne Gebüsche wir tüchtig plünderten. Abgesehen von dieser Exkursion und von meinem täglichen Morgenbad bin ich noch kaum aus der Stube gekommen. Der Abend vergeht fast ganz mit Ausarbeiten des am Tage Gesehenen und Gezeichneten. Tagsüber ist Dr. v. B. viel auf meiner Stube, der sich sehr an mich attachiert. Es geht ihm jetzt besser (gewiß nicht Folge meiner Behandlung!) und er fängt an, heiterer zu werden. Ich muß ihm jetzt viel von Deutschland erzählen . . .


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Diese Seite wurde erstellt am 3. August 1999