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Die Internetuniversität - Ein Multiautoren-Netzwerk

von

Peter v. Sengbusch

Mitarbeiter am Projekt   "Botanik online - Botany online - The Internet Hypertextbook":
Alice Bergfeld - Rolf Bergmann - Peter v. Sengbusch

 

"Neue Medien und Inhalte widersetzen sich sowohl der Förderung wie der Reglementierung durch hochmögende Bildungsbürokraten. Wenn sich die "Online-Generation" vernetzt, wird sie das nicht nach den Lehrplänen von Reformpädagogen tun, und wenn Eltern ihre Kinder vor Gefahren schützen wollen, werden sie den umbequemen Weg gehen und sich selbst zum kompetenten Führer durch die virtuelle Welt fortbilden müssen." - (aus DER SPIEGEL, 42/99)


Was ist eine Internet Universität, was eine Virtuelle Universität, was eine Offene Universität ? - Wie schon die Namen sagen, eine Virtuelle Universität symbolisiert die Vision, traditionelle Mißstände von Universitäten ins Internet Zeitalter herüberzuretten,

"Schon zu Beginn des Jahrzehnts wurden an vielen Universitäten Lehr- und Lernmaßnahmen intrenetgestützt oder auch "im" Internet durchgeführt. Schnell entstand der Bedarf durch die organisierte und technische Bündelung dieser Maßnahmen die Nutzung des Internets im Rahmen von Lehrveranstalungen zu vereinfachen" (Frank Laskowski, http://www.ub.uni-bielefeld.de/aktuell/2000conf/prog-dt.htm)

"Über das Internet müssen virtuelle Universitäten gegründet werden. Meine Idee ist, internationale Unis aufzubauen, sie aber nicht über Gebäude, Hörsäle und Campus zu definieren, sondern über große E-Education-Systeme , die allen Menschen auf der Welt verfügbar gemacht werden und den Stempel Made in Germany nach draußen tragen." (E. Staudt, IBM Deutschland in: Welt am Sonntag vom 26.3.2000)

Eine Offene Universität verfügt über andere Zugangsbeschränkungen als eine real existierende Universität - und eine Internet Universität ist schlicht und einfach seit einigen Jahren eine ortsunabhängige Realität, in der Informationseinheiten zu einem Netzwerk des Wissens verknüpft sind und über das Internet für Unterrichtszwecke frei genutzt werden können (für "Made in Germany" ist nichts mehr zu holen). Eine Vielzahl von Wissenschaftlern, engagierten Lehrern und Hochschullehrern aus allen Kontinenten mit meist mehreren Jahrzehnten professioneller Erfahrung haben ihr Wissen mit dem Ziel preisgegeben, daß es nachfolgenden Generationen und Außenstehenden einen Zugang zu den Besonderheiten ihres Faches bieten solle. - Millionenfach sind die Angebote bereits gesichtet und genutzt worden, an Anerkennung und Bekanntheitsgrad fehlt es also nicht, nur einige Bildungspolitiker haben noch nicht gemerkt, was auf sie zugekommen ist und daß es für sie keine Möglichkeit mehr gibt, die im Netz etablierten Aktivitäten zu unterbinden oder in ihrem Sinne zu kontrollieren. Angebote der Internet Universität sind garantiert gremien- und gutachterfrei. Kein Evaluator ist gefragt worden, kein Antrag wurde gestellt, keine Drittmittel sind zum Zustandekommen investiert worden. Wir Internetautoren - zugleich auch Initiatoren von Netzknotenpunkten - beherrschen unser Metier, wir allein tragen die Verantwortung für die veröffentlichten Informationen und wir wissen natürlich auch, daß jede Sachkritik, woher sie auch kommen mag, ernst zu nehmen ist und der Verbesserung der kritisierten Angebote dient.

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gestartete Initiative: "Förderprogramm Neue Medien in der Bildung - Herausforderungen und Chancen multimedialen Lehrens und Lernens" (http://www.bmbf.de/deutsch/initiat/foedprog/neuemedien.htm) enthält Vorstellungen, die bereits weitgehend realisiert worden sind bevor die ausgelobten Beträge in dreistelliger Millionenhöhe in Anspruch genommen werden konnten. Die Internet Universität hat sich jedoch nicht nach der von Bildungspolitikern ersehnten Top-Down-Strategie entwickelt, sondern nach der weit effizienteren Bottom-Up-Strategie. - Leben im Verlauf der Evolution hat sich übrigens nach den gleichen Prinzipien entwickelt, was zu Wachstum und Diversität geführt hat. Die Biologie als Wissenschaft vom Leben erwies sich daher als idealer Einstiegspunkt um die Internet Universität zu etablieren. Schon 1998 konnten wir schreiben:

"(Die CD) Biologie 98 steht am Anfang der Internet Universität. Sie ist, wie das www konkurrenzlos. Eine Universität muß sich als eine offene Informationsbörse verstehen, an der Wissen vermittelt wird. Wir tun nichts anderes als auch alle übrigen Universitätsangehörigen, nämlich Informationen zu sammeln, zu verknüpfen und weiterzugeben. Doch wer über Informationen und damit über Wissen verfügt, kann damit etwas anfangen. In der Internet Universität ist Platz für alle, für alle Fächer, für alle Sprachen, für alle, die etwas zu sagen haben und es verstehen, ihre Vorstellungen zu realisieren."

Die Internet Universität wächst nach dem Prinzip der neuronalen Netzwerke oder einfacher noch nach der von dem Göttinger Biophysiker und Nobelpreisträger M. EIGEN vorgestellten Hyperzyklustheorie. Diese stellt meines Erachtens den wichtigsten Meilenstein zum Verständnis des Phänomens Leben durch Einsatz von molekularbiologischen Erkenntnissen dar und ist der Darwinschen Selektionshypothese an Bedeutung gleichwertig. Beide Theorien ergänzen einander.

"Die Voraussetzung der Hyperzyklustheorie ist die Feststellung, daß alle Zellen Proteine und Nukleinsäuren enthalten und daß es eine "Selbstorganisation der Materie" gibt. Nukleinsäuren sind Träger genetischer Information. Diese wird genutzt, um die Synthese bestimmter Proteine zu instruieren, und die wiederum dienen primär dazu, sicherzustellen, daß die benötigte (selektierte) genetische Information möglichst fehlerfrei auf nachfolgende Generationen übertragen wird. Die Reaktionsfolge ist durch einen Hyperzyklus zu beschreiben, mit dem gleichzeitig eine Wachstums- und Vermehrungsfunktion verknüpft ist. Das Durchlaufen eines Zyklus muß schneller als die Zerfallsrate der einzelnen molekularen Komponenten sein. Das wiederum ist an Material- und Energieverbrauch gekoppelt. Zusammenfassend erhält man ein (offenes) System mit den alles entscheidenden Eigenschaften lebender Systeme. Die Stabilität des Systems hängt vom Vorhandensein geeigneter (sehr kleiner) Reaktionsräume (Kompartimente) ab, um dem Verlust notwendiger Komponenten durch Diffusion oder der Konkurrenz durch benachbarte Hyperzyklussysteme zu entgehen. Es entstand damit zwangsläufig die in der Biologie übliche Dichotomie zwischen Innen (Leben) und Außen (Umwelt)." Weitere Details s.: http://www.rrz.uni-hamburg.de/biologie/b_online/d36_1/36_1.htm

Auch die Internet Universität hat klein angefangen. Sie begann mit der Initiation von eigenständigen Netzknotenpunkten, die Eigenständigkeit ist geblieben, kein Internetautor läßt sich die Butter vom Brot nehmen und sich in die Weiterentwicklung seines Projekts hereinreden. Aber wir reden miteinander und lassen es zu, daß Verknüpfungen zwischen den Projekten zustandekommen. Wir lassen es zu, daß unsere Projekte auf anderen Servern gespiegelt werden und mit Infornationseinheiten anderer Projekte gekoppelt werden, wir unsererseits verfahren ebenso. Wir sorgen dafür, daß unsere Informationsangebote im nicht-kommerziellen Bereich des www verbleiben und wir vertun keine Zeit mehr, uns mit kommerziellen Angeboten elekronischer Lehr- und Lernprogramme auseinanderzusetzen, finanziell könnten wir uns das sowieso nicht mehr leisten.

Begonnen hat - aus unserer Sicht - alles mit der Absicht, ein vorhandenes Lehrbuch in ein elektronisches Buch umzusetzen. Die von uns gesehenen Vorteile des elektronischen Publizierens sind ausgiebig dargestellt worden. Schnell wurde daraus der Internet Knotenpunkt  "Botanik online - Die Internetlehre". Da es sich für die Benutzer als vorteilhaft erwies, Internetangebote auch für offline-Nutzung auf CD anzubieten, entstand in Abstimmung mit Kollegen ein Zusammenschluß mehrerer deutschsprachiger Projekte aus dem Bereich der Biologie die CD "Biologie 98" und ein Jahr darauf "Biologie 99", und "Biologie 2000" entwickelte sich bereits zu einem 2 CD-Satz. Von Jahr zu Jahr verdoppelte sich der Umfang des Angebots, neue Themen und neue Autoren schloßen sich dem Vorhaben an, die geforderte Schutzgebühr - zur Deckung der Herstellungskosten und Teilen unserer Betriebskosten - blieb seit drei Jahren unverändert (bei Verachtfachung des Angebots).

Auch zu uns hatte es sich herumgesprochen, daß die meisten Interessenten und Internetautoren nicht Deutsch, sondern Englisch sprechen. Folglich begannen wir mit der Erstellung einer englischen Version, die wir 1998 als "Botany online - The Internet Hypertextbook" ins Netz stellten und mit dem Slogan "information unlimited - under construction forever!" versahen.

1999 fand in St. Louis (USA) der XVI International Botanical Congress statt, womit sich uns die außergewöhnliche Chance bot, unsere Arbeiten 5000 Experten aus 85 Ländern vorzustellen. "Teaching goes Internet" war die Devise, Wissen sollte nach unserer Vorstellung nicht das Privileg von Industrieländern der nördlichen Hemisphere bleiben, sondern auch Lernenden in der dritten Welt zur Verfügung stehen. Wir nahmen Kontakt mit Kollegen aus verschiedenen Ländern auf und baten sie, uns Ihre Internetangebote (Lehrprojekte, Datenbanken, Botany in St. Louis, Kongreßmitteilungen, Abstracts und vieles mehr) für unser CD-Projekt zur Verfügung zu stellen. Ein spanisches Lehrprojekt diente u.a. auch dazu, Freunde für das CD- und Internetangebot in Mittel- und Südamerika zu gewinnen. Wir fanden großen Anklang und konnten die CD produzieren und den Teilnehmern der Tagung frei zur Verfügung stellen. Sie ist unverkäuflich, doch eine elektronische Version ist auf dem Server des Regionalen Rechenzentrums der Universität Hamburg abgelegt: http://www.rrz.uni-hamburg.de/biologie/b_online/ibc99/welcome.htm, sie dient Archhivzwecken und wird von zahlreichen Besuchern frequentiert.

Die Teilnahme am Kongreß bot uns die unerwartete Gelegenheit, das PKAL (Projekt Kaleidoskop) und die Organisatoren eines Workshops in Keystone persönlich kennenzulernen:

"Project Kaleidoscope (PKAL) is an informal national alliance of individuals, institutions, and organizations committed to strengthening undergraduate science, mathematics, engineering, and technology education."

Wir vereinbaten, auf dem Keystone-Workshop "Start Putting the Pieces Together - The Future of Plant Biology" (23.-26.7.2000) Internetlehre zu propagieren und eine Workshop Session mit dem Titel  "Virtual Plants? - Enhancing Learning with Information Technology"  zu organisieren. Die Ziele des Workshops entsprechen genau unseren Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Internet Universität werden wie folgt beschrieben:

"Where is plant biology undergraduate education headed and what are the major challenges? Plant biology has made incredible advances in the past decade and the way we teach and will teach in this field is changing rapidly. The Future of Plant Biology workshop will include plant biologists working at all levels, from ecosystems to molecules, and is aimed at professional societies and case studies will address a range of topics including: the campus as a classroom, technology and pedagogy in plant biology, integrating field experiences, enhancing the presence of plants in introductory biology, preservice teachers and plants, and efforts of our professional societies to enhance education. The goal of this workshop is to bring together teacher/scholars in all areas of plant biology to envision an exciting future for plants in the undergraduate curriculum.!

Als Vorbereitung dazu haben wir unsere Internetbibliothek "The Internet Library - Teaching Botany and Related Topics" begründet. Wir konnten auf unseren Kontakte zu Internetautoren zurückgreifen, die uns schon im vergangenen Jahr unterstützt hatten und es gelang uns, neue zu gewinnen, deren Projekte wir in Keystone als richtungsweisend für Internetlehre in den Bereichen Botanik und Biochemie vorstellen möchten, um Internetlehre zu einem Standard der Undergraduate Ausbildung zu machen und unnütze Parallelentwicklungen zu vermeiden. Wie in Deutschland orientieren sich auch in den USA die meisten Lehrangebote an den Bedürfnissen der lokalen Universitäten. Wir sind jedoch der Meinung, daß derart viel Arbeit in die Projekte investiert worden ist, daß nicht nur die eigenen sondern alle Studierenden (des jeweiligen Sprachraums) als Interessenten angesprochen werden sollten. Viele der amerikanischen Projekte eignen sich zur Übersetzung in andere Sprachen, so auch ins Deutsche. Wir werden uns darum bemühen, Übersetzer und Bearbeiter zu finden, um die vorhandenen Informationseinheiten in deutschsprachige Lehrprojekte umzusetzen. Die Lehrpläne der Schulen bieten uns gute Anhaltspunkte, um eine von staatlicher Seite gewünschte "Vollständigkeit" auf bestimmten Gebieten zu erreichen.

Wie schon erwähnt, war das Entstehen der Internet Universität eine zwangsläufige Folge der Entwicklung und Vernetzung frei zugänglicher elektronischer Informationsangebote unter strikter Wahrung von Urheberinteressen. Wir verstehen die Universität (an sich) als eine Informationsbörse, und wir sehen in ihr vornehmlich die Aufgabe, profilierte Persönlichkeiten hervorzubringen. Wir wollen mit unseren Angeboten mehr bieten als für einen bestimmten Zweck erforderlich ist. Wie ein neuronales Netzwerk bestehen die Angebote aus Zentren, die in verschiedenster Art miteinander verknüpft sind und die nach Art eines Self-Assembly an Größe und Bedeutung gewinnen. Die Bedeutung von Fächergrenzen verschwindet zunehmend. Ohne chemische Kenntnisse ist Botanik nicht zu verstehen. Aus den Chemie-Teilprojekten kann sich soetwas wie Chemie online entwickeln. Ohne Botanik sind Gartenbau und Landwirtschaft nicht zu verstehen und auch diese Disziplinen sind bereits mit ansehnlichen Angeboten im Netz vertreten. Der Anknüpfungspunkt zur Geographie ist naheliegend, und in Kürze werden wir uns mit dem Schwerpunkt "Afrika online" befassen. Genügend Ausgangsmaterial und notwendige fachliche Erfahrungen sind vorhanden. Auf der CD "Biologie 2000" werden wir unsere bisherigen Arbeiten als ein Multiautoren Netzwerk anbieten können. Der große Vorteil der Verknüpfungen liegt auch in einer permanenten Archivierung der Informationseinheiten und stellt damit einen wesentlichen Schritt zur Wissensvermittlung zwischen den Generationen dar - auch das bekanntlich eine zentrale Aufgabe einer Universität.

Was sagen die Anhänger und Repräsentanten etablierten Universitäten zu diesen Entwicklungen ? Viele nehmen für sich das Recht in Anspruch, keine Kenntnis davon zu nehmen. Es gibt aber schon heute weit mehr Jugendliche, die sich mit Computern und Internet auskennen als Vertreter der Hochgehaltsklassen in Universität, Politik und Wirtschaft. Nachhilfe können wir letzteren nicht bieten, wer nicht mitmacht, muß sich der Kritik der Jüngeren stellen und über kurz oder lang möchten auch die in die hochdotierten Stellen aufrücken. Das geht vielleicht schneller, als es sich manch Bundes- oder Landesminister(in) vorstellen mag.

Große Geldmengen werden heutzutage investiert, um der Informatik Auftrieb zu verschaffen. Doch brauchen wir die Informatik überhaupt noch. Wir arbeiten mit den fertigen Programmen, die uns die an großen Softwarefirmen beschäftigten Informatiker zur Verfügung gestellt haben: Microsoft, Oracle, Netscape, Coral, Micrographics, Allaire, SAP und wie sie noch alle heißen mögen. Ohne die Programme wären wir nicht in der Lage, derart effizient an der Weiterentwicklung unserer Interessengebiete und der professionellen Weitergabe unseres Wissens zu arbeiten. Unsere Bildungspolitiker glauben immer noch, Verlage und Bibliotheken seien die Informationsträger des 21. Jahrhunderts. 115 Millionen DM wurden vom ehemaligen Zukunftsminister im Rahmen des Projekts "Global Info"  (http://www.global-info.org/)  zur Subventionierung von Verlagen (1997-2003) bereitgestellt. Fakultäten und Universitäten sollten Ringelpietz spielen, um an die Pfründe heranzukommen, die Bibliotheken sollten neue Zahlungsmodalitäten entwicken. Nur wir - Autoren und Nutzer - wurden nicht gefragt. Und schon ist es passiert, wir kommunizieren direkt miteinander und keiner von uns weiß, wozu wissenschaftliche und Schulbuchverlage noch benötigt werden. Da im naturwissenschaftlichen Bereich die Mehrzahl von ihnen in den USA beheimatet ist, kommt durch die massive Euroabwertung gegenüber dem Dollar eine zusätzliche Kostenlawine auf die staatlichen Instituts- und Universitätsbibliotheken zu. Auch wir haben damit zu kämpfen.

Klar, die Internetuniversität ist im Aufbau und bei weitem nicht fertig, klar ist auch, daß sie nicht an Mitteldefiziten scheitern wird, die bisherigen Leistungen sind finanziell abgerechnet, Schulden oder andere Verbindlichkeiten liegen nicht an, und das ist ein gewaltiger Vorteil gegenüber konventionellen Universitätsstrukturen. Unser Kapital ist das Wissen der Internetautoren und deren Interesse, es Studierenden zur Verfügung zu stellen. Das Internet selbst ist ein Informationskanal von vorher nicht geahnter Effizienz. Die Motivationen von engagierten Pädagogen hingegen ist nichts Neues.  Schon 1873 schrieb der renommierte Pflanzenphysiologe und Lehrbuchautor J. SACHS

"Das hier vorliegende Lehrbuch der Botanik soll den Anfänger in den gegenwärtigen Zustand unserer Wissenschaft einführen, es soll ihn nicht nur mit den wichtigsten bereits festgestellten Tatsachen des Pflanzenlebens bekannt machen, sondern auch auf die Theorien und Probleme hinweisen, mit denen sich die botanische Forschung jetzt vorwiegend beschäftigt... Übrigens wird der aufmerksame Leser aus meiner Behandlung der Literatur auch leicht die Namen und die Bedeutung derjenigen Forscher kennenlernen, welche zumal in neuerer Zeit die Wissenschaft wesentlich gefördert haben."

und an anderes Stelle (1882) schreibt er:

"Wer aber Vorlesungen hält, hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, seine eigenste Auffassung des Gegenstandes in den Vordergrund zu stellen. Die Hörer wollen und sollen wissen, wie sich das Gesamtbild im Kopfe des Vortragenden gestaltet, es bleibt dabei Nebensache, ob andere ebenso oder anders denken."

Natürlich braucht auch die Internet Universität für ihren Erhalt und ihr Wachstum einen Energieinput in Form finanzieller Mittel, auch wir müssen überleben, wobei wir nicht gerade den Lebensstandard des "Armen Poeten" von Spitzweg anstreben. Wir brauchen aber auch nicht 20 000 DM aus öffentlichen Mitteln oder einem Betrieb der Finanzbranche für einen Flug von Düsseldorf nach München, wie Pressemitteilungen zu entnehmen war. Wir müssen aber unsere Reisen in die USA und innerhalb Deutschlands finanzieren, Kongreßgebühren entrichten und unsere Hard- und Software von Zeit zu Zeit aufbessern.

Die Fortentwicklung der Internet Universität erfordert immensen Arbeitseinsatz und damit Personalmittel. Unsere Projekte sind nicht auf einen Abschluß hin konzipiert, Stipendien von 2-3 oder 5 Jahren Laufzeit und BAT-Zeitvertragsregelung eignen sich daher extrem schlecht, um den Fortgang unserer Entwicklungen sicherzustellen. Negative Beispiele aus dem Bereich der Drittmittelforschung sind uns zur Genüge bekannt, nicht Anschubfinanzierung ist gefragt sondern sichere Finanzquellen, die den Fortgang der Arbeiten garantieren. Wir halten es wie alle lebenden Organismen: Diese sind auf einen stetigen Energiestrom angewiesen, die "Währung" der Zelle ist das ATP, eine wahrhaft unbestechliche Ressource, denn das Element Phosphor, das an der "energiereichen Bindung" beteiligt ist, kommt unter natürlichen Bedingungen niemals in reduzierter Form vor (keine Bestechung möglich). Alle Enzyme haben einen hohen Bedarf an ATP. Es gibt in der Zelle aber keine ATP-Speicher, es gibt effiziente genetisch bedingte Kontrollmechanismen, die sicherstellen, daß nur so viel ATP zur Verfügung steht, wie für unmittelbaren Bedarf benötigt wird. Körperliche Arbeit hat einen weit höheren Energiebedarf als geistige, doch darf auch hier keine Schwelle unterschritten oder unterschätzt werden. Viele Abläufe in der menschlichen Gesellschaft lassen sich mit den Vorgängen des Zellstoffwechsels vergleichen. Nur, überschüssige Währungsreserven gibt es dort nicht. Wechselwirkungen finden auf allen Ebenen lebender Systeme statt, wobei sich die neuronalen Netzwerke durch einen extrem hohen Effizienzgrad auszeichnen, denn sie speichern Wissen und werden für das Wissensmanagemet gebraucht. Und für nichts anderes verwenden wir das Internet. Wissen führt schließlich zu Macht, und diese Macht ist nicht einfach durch staatliche Subventionen, durch Amtsautorität oder Gehaltsklassenwahrheiten zu kompensieren.

Wir brauchen höchstens 5% der für Informatik in den Bundes- und Landeshaushalten ausgewiesenen Summen um das Zehnfache von dem zu erreichen, was in den Anträgen vorgesehen ist. Wir brauchen Fachwissen und wir brauchen Engargement, dieses Fachwissen in elektronisch nutzbare Lehreinheiten umzusetzen. Es gibt inzwischen jedoch kaum mehr deutsche Lehrbuchautoren im naturwissenschaftlichen Bereich. Die Mehrzahl der heute empfohlenen Lehrbücher sind Übersetzungen aus dem Amerikanischen. Forschungseinrichtungen und Leistungen europäischer Wissenschaftler werden daher nur am Rande erwähnt. Daher ist natürlich auch die Frage berechtigt: Woher soll die Motivation kommen, sich als Internetautor zu profilieren, wenn man keine Gelegenheit gehabt hat, sein Arbeitsgebiet in der Praxis kennenzulernen ? (zur Praxis gehört nicht nur auißeruniversitäre Tätigkeit in der sog. Wirtschaft, sondern vornehmlich die professionelle Tätigkeit im Bereich der Lehre in Schulen und Universitäten)

Die Internet Universität berührt - ebenso wie das Buch keineswegs alle Aspekte einer traditionellen Universität. Lebensvorgänge sind auch nicht nur aus Büchern heraus zu verstehen.

"Wer aus dem vorliegenden Buch Botanik zu lernen denkt, der möge es gleich wieder ungelesen beiseite legen, denn Botanik lernt man nicht aus Büchern. Wer aber die Natur selbst zu erforschen strebt und sich dabei nach einem Führer umsieht, der ihn manchen Fehler, zu dem verführerischer Schein reizt, vermeiden lehrt, biete ich diese Grundzüge an." - aus: M.J. Schleiden: Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik, 1842

oder:

"Study Life, not books" (Inschrift über dem Eingang des Marine Biology Laboratory, Woods Holle, Mass. USA.)

Den Wirkungsmechanismus technischer Geräte kann man auch nur durch Erfahrung mit ihnen kennenlernen und über die Bedeutung und die Kosten von Laborbetrieb, Medizin, Landwirtschaft etc. hier zu diskutieren ist müßig. Das Problem stellt sich für den Einzelnen. Wer als Studierender, Assistent oder Professor in die Infrastruktur eines Betriebs eingebunden ist, hat nur wenig oder kaum Zeit, sich mit Fragen der Lehre und der Erstellung von Internet Lehreinheiten zu befassen oder gar an ein Leben in der Toskana zu denken, wie es sich der Bundes-Kulturstaatsminister M. Naumann vorstellt. Unter den Pauschalverurteilungen und der Klassenschelte haben viele engagierte Professoren (Persönlichkeiten) zu leiden. Die Politiker vergessen, daß auch wir intelligente Menschen sind, die an völlig unterschiedlichen Themen und vielfach einander widersprechenden Projekten arbeiten, obwohl wir den gleichen Betriebseinheiten angehören. Nur wenige sind an den virtuellen Vorstellungen von "Interaktion zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland" interessiert oder beteiligt, obwohl das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auch hierfür enorme Mengen an Steuergeldern verspielt. Vorteile daraus ziehen einige Volkswirte des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH in Mannheim, die die Klasse der Professoren nur als Datenlieferanten zur Produktion fiktiver Aussagen gegenüber dem BMBF benötigen. Die gewünschten Daten sollen anonymisiert werden, um persönliche Vorstellungen von Professoren von vornherein abzuwürgen und sie als Vertreter einer rangniederen Klasse hinzustellen, die ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen darf, sondern nur noch devote Handlungen vor real existierenden oder virtuellen Machthabern zu vollziehen hat.

Das online-Lernen wird euphorisch propagiert, schreibt F. Wenger (Entwickler von Lernprogrammen und Geschäftsführer des Multimedia-Unternehmens HQ-Blessing White) - in Welt am Sonntag vom 26.3.2000 - : "Leider ist sein Ruf heute noch besser, als seine tägliche Umsetzung in der Praxis. So kann man bei der betrieblichen Fortbilddung nicht davon ausgehen, daß Mitarbeiter prinzipiell zum Selbstlernen in der Lage sind. Deshalb müssen auch Grundmodule zur Organisation des Lernens angeboten werden.... Mit zunehmendem Einsatz von Internet und Intranet zur Unterstützung von Lernprozessen verfließen die Grenzen zwischen Lernen, Information und Arbeitsunterstützung. Die Weiterbildung wird zunehmend arbeitsbegleitend organisiert sein... Im online-Bereich werden Inhalte technisch gesehen unmittelbar weltweit verfügbar. Lernen kann jedoch in den seltesten Fällen in einem "Vakuum" stattfinden, Fakten werden erst durch ihre Bezüge und eine mögliche Anwendung zu Wissen. - reine Wissensvermittlung kann ganz auf die Medien verlagert werden. Trainer und Manager müssen sich einstellen, im Klassenzimmer die Anwendung und den Ausbau von Wissen zu unterstützen".

Dem ist nicht zu widersprechen. Der Lehrer- oder Hochschullehrerberuf erlebt durch die Angebote im Internet eine neue Renaissance. Persönlichkeiten sind gefragt, um Lehrangebote zu sichten, auszuwählen und sie Lernenden altersstufengerecht anzubieten. Man darf als Lehrer dabei jedoch nicht vergessen, daß die Lernenden freien Zugang zur Information haben und - individuell verschieden - Informationen nutzen, die im Unterricht nicht vorgesehen sind und beim Lehrer ggf. Wissenslücken aufklaffen lassen. Es ist inzwischen eine bekannte Tatsache, daß es kaum mehr einen Schüler gibt, der sich nicht zutraut, mit einem Computer umzugehen, viele haben den Umgang durch Selbsterfahrung (Selbststudium - "Nintendo-Generation") erlernt und sind daher dazu prädestiniert, elektronisch angebotemes Wissen freiwillig zu nutzen. Wenn Lehrer nicht dagegenhalten, ist ein Autoritätsverlust unausweichlich. Daß Lernende in Betrieben eine Scheu vor Computern haben, wie F. Wenger schreibt, beruht auf der Zwangssituation, daß in Betrieben am Computer erworbenes Wissen nur zur unmittelbaren Anwendung führen soll. Und gegen alles Fremde oder Aufgezwungene haben Menschen schon immer Aversionen gehabt.

Unter diesem Aspekt gesehen, werden auch die eingangs erwähnten "Virtuellen Universitäten" und das Telelearning an der Realität scheitern müssen. Daß Ressourcen an verschiedenen Hochschulen (etwa eines Bundeslandes) gebündelt und damit Impulse für die ganze Hochschullandschaft geben werden, mag ebenfalls angezweifelt werden. Für einen Lernenden stellt der Autor eines Internetangebots eine ihm fremde Person dar, an deren Bekanntschaft ihm womöglich wenig liegt, die aber - wenn gewollt - über die angegebene e-mail Adresse direkt angeschrieben werden kann. Lehrende in einer "Virtuellen Universität" oder "Teleuniverssität" müssen als Respektspersonen gesehen werden, obwohl man ihnen nicht oder nur selten persönlich begegnet, von deren Urteil aber der Lernerfolg - und damit das berufliche Fortkommen - maßgeblich abhängt. Auch die Etablierung von "Kompetenzzentren", wie für das Institut für Fernstudien in Tübingen vorgesehen, scheinen - trotz bevorzugter finanzieller Ausstattung - keine erfolgsversprechende Lösung zu sein, denn auch hier fehlt es an Persönlichkeiten, die als Vorbild dienen können. Die örtliche Konzentration von "Fachleuten" führt letzlich zu Entwicklungen wie im Lande Nordrhein-Westfalen, wo vom einschlägigen Ministerium eine Leistungssteigerung durch Hausarrest der Professoren erwartet wird. Interne Kontrollen sind stets leistungshemmend, Kontrolle von Kollegen artet leicht in Mobbing aus. Die Unterwerfung intelligenter Menschen unter übergeordnete Instanzen (Dekan, Rektor, Ministerialbürokratie) und deren persönliche - üblicherweise mangels Wissen nicht-sachdienende - Willkür (staatlich geförderte Fehlerakkumulation ohne exterene Kontrollinstanz - Beispiel für postive Rückopplung, keine Konrolle übergeordneter "Wahrheitsebenen") führt zwangsläufig zum Autoritätsverlust der Amtsinhaber und letzlich zu der Frage: Wozu brauchen wir Universitäten im herkömmlichen Sinne noch ?

Auch Internet Projekte bedienen sich des Einsatzes neuartiger didaktischer Hilfsmittel, die auf konventionelle Weise - nicht zuletzt aufgrund ihrer Unbezahlbarkeit - nicht in den Lehrbetrieb an Schulen und Universitäten eingebracht werden konnten. Ich möchte an dieser Stelle nur drei Aspekte aufgreifen:


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de