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Bewertung morphologischer, anatomischer, cytologischer und chemischer Merkmale


Die Bedeutung cytologischer Merkmale zur Klärung systematischer Probleme wurde im Rahmen des Themenkreises Evolutionsforschung diskutiert und die der anatomischen Merkmale im Zusammenhang mit der Beschreibung der Angiospermenholzentwicklung. In der Systematik ist es üblich, morphologische Merkmale als Grundlage einer jeden Klassifikation heranzuziehen. Damit stellen sich folgende Fragen: Was ist ein Merkmal? Wie ist es zu beschreiben? Wie lassen sich Unterschiede zwischen Merkmalsausprägungen ausdrücken?

Es gibt "gute" und "schlechte" Merkmale. Unter "guten" versteht man solche, die sich stabil verhalten, eine geringe Variabilität aufweisen und sich von anderen diskontinuierlich unterscheiden. Ihre Ausprägung ist vornehmlich genetisch determiniert und wird durch Umweltfaktoren nur wenig beeinflußt. "Schlechte" Merkmale zeichnen sich durch Instabilität und/oder eine hohe Variabilität aus. Auch ihre Ausprägung wird durch das Genom gesteuert, Umwelteinflüsse und/oder genetischer Polymorphismus üben jedoch einen stark modifizierenden Einfluß aus.

Selbst bei "guten" Merkmalen steht man oft vor der Schwierigkeit, einen Sachverhalt eindeutig wiederzugeben. So sind z.B. Blätter vieler Ranunculaceen- und Umbelliferen-Arten (und die vieler anderer Familien) gelappt und gefiedert. Doch das, was man mit den gleichen Worten belegt, sieht in den genannten Familien ganz anders aus, wir haben es hier also primär mit einem terminologischen Mangel zu tun.


Welche Merkmale sind taxonomisch brauchbar?

Auch auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Zunächst, in den einzelnen Pflanzengruppen (Abteilungen), berücksichtigt man unterschiedliche Merkmale, dieselben Merkmale haben auf verschiedenen Rangstufen oft verschiedene taxonomische Wertigkeit. "Chemische Merkmale" können in höchstverschiedenartiger Weise für die Systematik wichtig sein: Zur Charakterisierung der Abteilungen bei den Algen werden Produkte des Primärstoffwechsels betrachtet (z. B. Stärke im Gegensatz zu Laminarin und Öl); für Gattungen und Arten innerhalb der Angiospermen sind hingegen oft Unterschiede in der Akkumulation von Verbindungen des Sekundärstoffwechsels, z. B. verschiedene Flavonoide oder ätherische Öle bezeichnend.

Die Taxonomie der Algen ist trotz vieler Bemühungen über die Anfänge eines integrierenden, phylogenetischen Konzepts nicht hinausgekommen. In der Klassifikation werden die einzelnen Abteilungen (und innerhalb der Abteilungen die Klassen, Ordnungen und Familien) meist beziehungslos nebeneinandergestellt. Die Situation beginnt sich erst langsam durch den Einsatz neuer Methoden, z.B. der Elektronenmikroskopie, zu bessern; cytologische Daten sind spärlich. Man kennt eine Fülle "guter" Merkmale, durch die sich einzelne Arten oder Gattungen charakterisieren lassen: Kappenzellen bei Oedogonium, schraubig gewundener Chloroplast bei Spirogyra usw. Ohne Zweifel handelt es sich dabei um Spezialisierungserscheinungen (abgeleitete Merkmale, einseitige Vervollkommnungen), deren adaptiven Wert wir meist aber nicht kennen. Im Evolutionsgeschehen repräsentieren diese Entwicklungen Sackgassen.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de