"Als der Wiener Botaniker A. KERNER von MARILAUN 1896 zu einer Audienz beim Kaiser erschien, erkundigte sich der Monarch nach dem botanischen Universitätsgarten, der in den letzten Jahren neue Gewächshäuser erhalten hatte. Als der Kaiser hörte, daß die Koniferen im Freien so gut fortkommen, bemerkte er, daß sich sein Schwiegersohn, Prinz Leopold in München, vergebliche Mühe gebe, die Nadelhölzer in seinem Parke fortzubringen. KERNER fügte hinzu, daß der Botanische Garten etwa achtzig verschiedene Koniferen besitze und ihr Gedeihen mit der gegen die Rauchplage geschützten Lage zusammenhänge. Mit dem Rauche gelange nämlich in den Städten schweflige Säure auf die Bäume, die wie ein Gift auf die grünen Nadelblätter wirke."
(aus: E. M. KORNFELD: ANTON KERNER von MARILAUN. Leipzig, 1908)
Saurer Regen wurde zu einem politischen Reizwort der letzten Jahre. Von Jahr zu Jahr nehmen sichtbare Schäden an der Vegetation zu. Besonders betroffen sind Nadelbäume, die Tanne stärker als die Fichte. Die Schäden begannen in Süddeutschland schon in den sechziger Jahren, wurden damals aber nicht mit dem Sauren Regen in Verbindung gebracht. Die ersten Meldungen über Folgen durch saure Niederschläge sind knapp fünfzehn Jahre alt, Fische und kleine Lebewesen in den oligotrophen, fast ungepufferten Seen Skandinaviens starben ab. Der pH-Wert sank auf Werte von ca. 3. Man versuchte zunächst, die Schäden durch Kalkzufuhr abzumildern, doch zeigte sich, daß dieses Verfahren - später auch in deutschen Wäldern eingesetzt - nur Symptome heilen konnte, die Ursache aber nicht beseitigte.
In den Jahren nach 1980 stellte man zunehmend Waldschäden in Mitteleuropa fest. Die größten - irreversiblen - Ausfälle waren im ehemaligen Ostblock (Tschechoslowakei u.a.) zu verzeichnen. Bedingt durch den Schadstoffausstoß (Immissionen) der großen böhmischen Kraftwerke, wurden die Wälder auf den windexponierten Höhen des Erzgebirges vollständig zerstört, so daß man zu Recht von einem Waldsterben sprechen konnte.
In Deutschland sah die Situation günstiger aus, weil zwar viele Bäume erkrankt, aber erst relativ wenige abgestorben waren. Dennoch wurden 1983 bereits an 30 bis 40 Prozent aller Nadelbäume Krankheitssymptome festgestellt. Im regenarmen Sommer 1983 nahm das Ausmaß gravierendere Formen an. Eine weitere Zunahme kranker Bestände war 1984 zu verzeichnen, wobei zu verzeichnen war, daß die Schäden zusehends auch auf Laubbäume übergriffen.
In den Jahren 1985 und 1986 nahmen die Waldschäden nur noch geringfügig zu. In beiden Jahren wurde ein leichter Anstieg um jeweils 2 Prozent verzeichnet. Damit waren die Bäume auf 54 Prozent der Waldfläche, das sind 4 Millionen Hektar, in ihrer Vitalität geschwächt oder geschädigt. Es sah so aus, als sei derzeit eine gewisse Stabilität der Situation eingetreten; sie bewegte sich jedoch auf einem hohen Schädigungsniveau. Dabei geht eine Verlangsamung bzw. Trendentwicklung bei den Nadelbaumarten mit einer gleichzeitigen Zunahme der Schäden bei den Laubbaumarten einher. Die Tanne bleibt nach wie vor die am stärksten geschädigte Baumart.
Unter den Laubbäumen ist die Eiche am stärksten betroffen. Der Wald (bezogen auf alle Baumarten) befindet sich auf großen Flächen in einem labilen Gleichgewicht. Insbesondere sind die Wälder in den höheren Lagen der Mittelgebirge und der Alpen geschädigt. Gerade an diesen Standorten fallen häufig und ergiebig Niederschläge; sie zeichnen sich zudem durch relativ niedrige Jahresdurchschnittstemperaturen, lange Frostperioden und einen hohen Anteil an Nebeltagen aus.
Das Krankheitsbild sah und sieht nicht einheitlich aus. Neben gesunden Beständen kommen in vergleichbarer Lage stark geschädigte vor. Damit stellte sich die Frage, ob außer den Luftverunreinigungen (Saurer Regen) noch weitere Faktoren im Spiel sind. Man verwies darauf, daß es Waldschäden schon in früheren Jahrhunderten gegeben habe. Zur Diskussion stellte man Epidemien (z.B. Infektionen durch Viren, Mycoplasmen oder Rickettsien) oder Befall durch Parasiten [Insekten (Borkenkäfer), Nematoden und Pilze]. Es zeichnet sich aber immer deutlicher ab, daß keiner der genannten Faktoren als Hauptursache für eine weiträumige Waldschädigung in Betracht kommt. Die durch Infektionen und Parasiten hervorgerufenen Schäden bewegen sich in einem seit Jahrzehnten bekannten Rahmen. Im Fall der Tanne im Südschwarzwald - sie kommt dort fast nur in Monokulturen vor - wurde eine natürliche Alterung der Bestände genannt.
Neben den Umweltfaktoren suchte man auch nach genetischen Unterschieden zwischen betroffenen und nicht betroffenen Populationen einer Art (z.B. der Fichte). Die Analyse der Iso-/Alloenzymmuster machte deutlich, daß sich das Verteilungsmuster in einigen der kranken Bestände von einigen in gesunden unterscheidet. Diese Befunde sind insofern alarmierend, als sie zeigen, daß in bestimmten belasteten Lebensräumen nur bestimmte Genotypen überdauern, wodurch es zu einer Reduktion des Genpools der Art kommen kann.
Die Symptome eines kranken Baumes sind ebenfalls sehr vielfältig. Bei der Fichte (und anderen Nadelbäumen) wurden folgende Schäden festgestellt:
Schäden an Nadeln (Vergilbung, später Abfall), | |
Schäden an Knospen und jungen Trieben, | |
Rindenschäden, | |
Holzschäden, | |
Wachstumsanomalien und schließlich, | |
Schäden im Feinwurzelbereich (da Schäden dieser Art im Vergleich zu den vorangegangenen nur schwer feststellbar sind, liegen hier erst wenige Analysen vor). |
Betont sei, daß die einzelnen Symptome meist unabhängig voneinander und zudem regional unterschiedlich auftreten. Für die Fichte wurden z. B. die folgenden 5 Schadtypen charakterisiert (Forschungsbeirat Waldschäden/Luftverunreinigungen, zit. nach K. SCHMITT, 1990):
Nadelvergilbung in den höheren Lagen der deutschen Mittelgebirge | |
Kronenverlichtung in mittleren Höhenlagen der Mittelgebirge | |
Nadelröte älterer Bestände in Süddeutschland | |
Vergilbung in den höheren Lagen der Kalkalpen | |
Kronenverlichtung in Küstennähe |
Eine Vergilbung der Nadeln beruht oft auf einem Nährstoffmangel (Mangel an Magnesium oder Kalium, meist verbunden mit N-Mangel). Eine Nadelvergilbung kann zum Tode und damit zum Abfall der betroffenen Nadel führen, es gibt aber auch die Möglichkeit einer Regeneration und damit einer Wiederergrünung. Eine Rotfärbung von Nadeln beruht meist auf einem Pilzbefall.
Es kann wohl auch als sicher gelten, daß sich die Böden mitteleuropäischer Wälder nicht in bestem Zustand befinden. Anders als in der Landwirtschaft wird in der Forstwirtschaft zwar auch geerntet, aber nur selten gedüngt. Die Folge davon ist eine kontinuierliche Verarmung des Bodens an Mineralien (z.B. an Magnesiumionen) und damit verbunden eine höhere Anfälligkeit der Bäume.
In der Tat beruhen die Baum- und Waldschäden auf einem komplexen Ursachenbündel, das nicht leicht aufzuschlüsseln ist. Viel schlimmer ist, daß sind positive Rückkopplungen (Verstärkereffekte) mit im Spiel sind, so daß kleine Ursachen, die für sich alleine genommen unbedeutend sein mögen, zusammen mit mehreren anderen Bedingungen verheerende Folgen haben. Fest steht, daß das Redoxpotential in der Atmosphäre durch Verbrennung fossiler Brennstoffe nachhaltig verändert wurde. In vorindustrieller Zeit standen Oxydations- und Reduktionsprozesse im Gleichgewicht zueinander. Das Ausmaß der durch anthropogene Einwirkungen (Industrialisierung) hervorgerufenen Oxydation von Brennstoffen hingegen übersteigt die in biologischen Systemen meßbare Oxydationsrate. Hierdurch kam es neben der Anreicherung von Kohlendioxyd zu einer Zunahme von Schwefeldioxyd, Schwefeltrioxyd, Stickoxyden, Salpetriger Säure, Salpetersäure und anderen in der Atmosphäre. Der Ausstoß dieser Gase geht nach wie vor weiter, wenngleich aufgrund politischer Maßnahmen ein Absinken der Zunahmerate erkennbar ist. Die Situation bleibt jedoch angespannt, weil durch die Verbrennung von Polyvinylchloriden (Plastikartikel, verbrannt in städtischen Verbrennungsanlagen) HCl erzeugt wird. Daß darüber hinaus unter Umständen auch TCDD entstehen könnte, sei hier nur am Rande vermerkt. Doch auch hier beginnen politische Maßnahmen zu greifen.
Die Kohlendioxyd-Zunahme ist für die folgenden Betrachtungen primär belanglos, wichtig ist sie hingegen im Zusammenhang mit großräumigen Klimaveränderungen ("Glashauseffekt"). Gravierender ist die Zunahme der übrigen Komponenten, wobei die Umsatzraten und die Aufnahmekapazität der Atmosphäre zu berücksichtigen wären. Eine Absorption durch die Ozeane kann vernachlässigt werden, denn ein solcher Austauschprozeß würde etwa 1000 Jahre in Anspruch nehmen. Andererseits liegt die Verweildauer atmosphärischen Wassers (und der darin gelösten Substanzen) in der Größenordnung von neun bis zehn Tagen. Eine Lösung der genannten Oxydationsprodukte im (ungepufferten) Wassertropfen (oder in Form von Aerosolen) führt zu Dissoziationen und somit zur Bildung von Protonen. Die Folge ist ein drastischer pH-Abfall. Nun gelangen außer Säuren natürlich auch Basen in die Atmosphäre. Deren Anteil ist aber auch heute noch fast ausschließlich "natürlichen Ursprungs". Zu nennen wären Ammoniumverbindungen sowie Carbonate (in Form von Staub).
Zusammen mit den Säureäquivalenten entstehen daher Tropfen oder Aerosole unterschiedlicher Zusammensetzung, z.B. Ammoniumhydrosulfat, Ammoniumdisdulfat, ...Ammoniumnitrat... usw. Als weitere Schadensquelle wäre die Ammoniak-Zunahme durch Massentierhaltung zu nennen, denn besonders die Stickstoffverbindungen führen - zumindest lokal - zu einer starken Bodeneutrophierung. Sie tragen dadurch zwar zum Zuwachs der Bäume bei, machen aber deren Blätter, bzw. Nadeln anfälliger für Schädlinge sowie für Trockenheit und Fröste. Außerdem bedeuten sie eine zwar geringe, aber sich von Jahr zu Jahr summierende Stickstoffdüngung von bisher nährstoffarmen Formationen (Magerrasen, Zwergstrauchheiden), in denen die meisten der heute naturschutzwürdigen, gegenüber Überdüngung empfindlichen Pflanzen leben.
Solange sich in der Atmosphäre nur Kohlendioxyd und Wasser - im Gleichgewicht - befinden, ergibt sich ein pH-Wert des Regenwassers von ca. 5,6. Kommen die obengenannten Verbindungen hinzu, kann er regional auf 4,3 absinken. Bei einer Verweildauer von neun bis zehn Tagen können derartige Komponenten Hunderte bis Tausende von Kilometern zurücklegen. Etwa zwei Drittel der Schwefel- und Stickstoffverbindungen gelangt durch Regenwasser wieder auf die Erde, der Rest durch "trockene Deposition", d.h., sie werden unverdünnt abgelagert. Der Protonenüberschuß im Regenwasser bewirkt eine forcierte Auflösung von Gesteinen, die Verwitterungsrate steigt (rapide Zerstörung von Kulturdenkmälern, Sandsteinskulpturen in Städten nahe vielbefahrener Straßen); Kationen werden vermehrt aus dem Boden ausgewaschen, hierzu gehören vornehmlich die für Pflanzen (und andere Organismen) toxischen Aluminiumionen (und Schwermetallionen). Mit anderen Worten: Hier liegt ein indirekter, nicht unmittelbarer Schadeinfluß auf die Organismen vor. Zusätzlich führt eine Korrosion von Gesteinen und ein Auswaschen von Kationen (hier Calciumionen, Magnesiumionen u.a.) zu einer weiteren Ansäuerung des Bodens. Der pH-Wert kann damit auf Werte von ca. 3,9 fallen, was kaum eine Pflanze verträgt. Durch zeitliche oder räumliche Entkopplung von Produktion und Mineralisation wird die Protonen-Balance weiter verschlechtert (z.B. bei intensiver Nutzung des Bodens durch Land- oder Forstwirtschaft). Zu einer Ansäuerung von Gewässern kommt es aber auch dann, wenn sie durch Wasser gespeist werden, das vorher Waldboden durchlaufen hat.
Der derzeitige Wissensstand über die im letzten Jahrzehnt sichtbar gewordenen Waldschäden konnte durch die folgenden Ursache-Wirkung-Beziehungen beschreiben werden, um somit auf die Kausalzusammenhänge und die synergistische Wirkung einzelner Faktoren hinzuweisen:
1. Primäre Schadstoffe: Gas- oder staubförmige Immissionen, vor allem Schwefeldioxyd, Stickoxyde, Fluor, Ozon, Peroxyde, Schwermetalle. Chemische Umwandlungen werden durch Temperatur und Licht (Photooxydation) beschleunigt. Folgen nach Einwirkung auf Pflanzen (einen Baum z.B.):
Zerstörung von Blattorganen und der Rinde Zerstörung von Wachsschichten u.a. 2. Saurer Regen entsteht durch Lösung der unter Punkt 1 genannten Gase in atmosphärischem Wasser. Er kann direkt oder über den Boden auf Pflanzen einwirken. Die Folgen:
Veränderungen im Boden: Auswaschung von Nährelementen aus den oberen Bodenschichten durch Versauerung, Eutrophierung durch Stickstoffeintrag; Freisetzung toxischer Mineralien. Der Schädigungsgrad hängt vom Bodentyp ab
Störung der Aufnahmemechanismen durch die Änderung der bodenchemischen Verhältnisse; hinzu kommen Wurzelschäden (im Bereich der Feinwurzeln)
Nährstoffungleichgewicht infolge erhöhter Einträge von biologisch verwertbaren Stickstoffverbindungen 3. Witterungseinflüsse (Trockenperioden, Niederschlagsdefizit, längere Niederschlagsperioden):
Eine erhöhte Temperatur führt zu erhöhter Transpiration und gegebenenfalls Wassermangel in der Pflanze Niederschlagsdefizite führen zu Versauerungsschüben im Boden und damit wieder zu Schäden im Wurzelbereich 4. Krankheitssymptome eines Baums als Folge der Schädigungen:
Schäden im Feinwurzelbereich. Beeinträchtigung der Wechselwirkungen zwischen Baum und Mykorhizzapilzen. Reduktion der Aufnahmekapazität von Nährstoffen Naßkern (bei der Tanne festgestellt; Fäule des Kernholzes) Nährstoffmangel, verbunden mit Wassermangel führt zum Absterben von Blättern bzw. Nadeln Wuchsstörungen Nachlassende Widerstandsfähigkeit gegen Frost, Infektionen, Schädlinge u.a. Schädigung aller physiologischen Leistungen und dadurch schließlich Tod des Baumes
Waldschäden oder Waldsterben? Vor allem der zweite Begriff ist emotional beladen. Im eingangs erwähnten Beispiel der Erzgebirgswälder ist er zutreffend. Für die Zustände der Wälder in der Bundesrepublik Deutschland mag der Begriff Waldschäden eher angebracht sein. Wir wissen noch viel zu wenig über das Ökosystem Wald. Dennoch sei schon jetzt vermerkt, daß ein starker Laub- oder Nadelverlust der Bäume ("Lamettasyndrom") auch dazu führt, daß mehr Licht den Boden erreicht. Als eine Konsequenz daraus kann sich die Bodenvegetation verändern. Lichtempfindliche, gegen Austrocknung empfindliche Arten (z. B. manche Moose) verschwinden und werden durch ein anderes Artenspektrum, an dem vor allem Gräser beteiligt sind, ersetzt. Diese neue Vegetationsdecke beeinflußt ihrerseits die Mikrofauna und die Bodenverhältnisse. Eine erhöhte Transpirationsrate dieser Pflanzen bewirkt eine schnellere Austrocknung des Bodens und fügt den bereits geschädigten Bäumen noch weiteren Schaden zu.
Die in den letzten Jahren unter außergewöhnlich starkem Zeitdruck ausgeführten Forschungsarbeiten beziehen sich im wesentlichen auf das Verhalten einzelner Bäume. Es hat sich gezeigt, daß diese über etliche Reserven und über ein hohes Regenerationsvermögen verfügen. Nur wenn alle getroffenen und geplanten Schutzmaßnahmen tatsächlich auch eingehalten und vor allem verstärkt werden, erhalten die Bäume eine echte Regenerationschance. Das Ökosystem Wald könnte dann von einem labilen zu einem stabilen Gleichgewicht zurückkehren. Wichtig sind dabei auch ökologisch sinnvolle Wiederaufforstungen; durch Anlage von Monokulturen wären weitere Schäden vorprogrammiert. Noch sind die Schäden nicht irreversibel. Üblicherweise wurden langfristige Störungen des Ökosystems Wald nur dann verzeichnet, wenn eines der vier folgenden Kriterien erfüllt war:
Klimaverschiebungen. Die europäischen Eis- bzw. Kaltzeiten haben den Wald mehrfach für Jahrtausende vernichtet und ihn durch Kaltsteppe ersetzt.
Bodenzerstörungen. Bodenabspülungen durch starke Regenfälle im Gebirge, die nackten Fels zurücklassen, verhindern eine Wiederansiedlung von Wald, an dessen Stelle sich dann bestenfalls Gebüsch entwickelt (Beispiel: Karstlandschaft in Ex-Jugoslawien).
Langandauernde Vernässung oder Austrocknung des Bodens, die in vielen Fällen Waldwuchs ausschließen (Ausnahme: Moor- und Bruchwälder).
Starke chemische Veränderungen der Atmosphäre mit Auswirkungen auf den Boden. Es ist der letzte Punkt, an dem sich die vorgetragene Diskussion entzündet hat.
Wie sieht die Situation 1995 in der Bundesrepublik aus? Allgemeines Waldsterben - ein Konstrukt? fragte der Göttinger Ökologe H. ELLENBERG. Er beruft sich auf unzureichende Angaben und Mängel in den jährlichen Waldzustandsberichten. Die veröffentlichten Meßergebnisse beruhen nur selten auf echten Blatt- oder Nadelverlusten. Sie ergaben sich vielmehr aus Schätzungen der Kronendichte im Vergleich mit Photoserien von unterschiedlich stark beblätterten Bäumen. Da pro Baumart nur jeweils eine Standardserie benutzt wurde, nahmen solche Schätzungen keine Rücksicht auf boden- und klimabedingte Unterschiede der Belaubungsdichte, die auch bei gesunden Bäumen sehr beträchtlich sein können. Geringe Dichte wurde daher oft fälschlich von vornherein als Schädigung gedeutet. Das allgemeine Waldsterben ist nicht zuletzt deshalb eine Hypothese geblieben. Zu dem gleichen Schluß kam mit anderen Argumenten der Münchener Botaniker O. KANDLER. Er wies vor allem darauf hin, daß viele Wälder in Mittel- und Westeuropa auch in den letzten Jahrzehnten steigenden Zuwachs aufwiesen. Es ist nicht zu leugnen, daß es schon zu allen Zeiten kleinräumige bis regionale Waldschäden gegeben hat. Die seit Beginn der achziger Jahre laufenden Messungen (jährliche Waldschadenserhebung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) ergaben zwar bei allen berücksichtigten Baumarten manche Fluktuationen, aber keine stetige Zunahme höherer Schädigungsstufen.
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