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Festigungs- oder Stützgewebe, Leitgewebe



Die Ausbildung stabiler Stützelemente war eine wichtige Voraussetzung zur Evolution großer terrestrischer Organismen. Tiere besitzen Endo- oder Exoskelette, viele Pflanzen verholzte Stengel oder Stämme.

Die Architektur des pflanzlichen Vegetationskörpers ist durchweg sehr komplex. Dünne Blattstiele tragen schwere flächige Blattspreiten, Stengel tragen Blätter, Blüten und Früchte. Alle Organe sind mechanischen Belastungen ausgesetzt. Die oberirdischen Sprosse oder ihre Teile (Äste, Blätter usw.) folgen den Bewegungen des Windes. Aufgrund ihrer hohen Elastizität kehren sie in ihre Ausgangsposition zurück, oder sie pendeln um eine gedachte Achse. Baumstämme sind ausreichend stabil, um dem Wind widerstehen zu können, sie sind druck- und biegefest und wegen der oft ausladenden Krone bieten sie ihm eine große Angriffsfläche. Diese wirkt als ein Hebel, ein großer Teil der Energie wirkt daher als Zugkraft auf die Wurzel ein, zu deren Funktionen wiederum außer der Wasser- und Nährstoffaufnahme die Verankerung der Pflanze im Boden gehört.

Die Festigkeit von Geweben dient auch dem Schutz vor Feinden. Die harte Schale vieler Samen verhindert ein Zerbeißen oder Zerstechen durch Tiere und das Eindringen von Parasiten (Pilze, Bakterien u.a.).

Im vorangegangenen Thema haben wir gesehen, daß lebende pflanzliche Zellen wasserreich sind und die Gewebe unter einer erheblichen, durch Turgor bedingten Spannung stehen, die ihnen eine gewisse Stabilität verleiht. Wie wichtig diese Gewebespannung ist, erkennt man am besten daran, daß Blätter und andere Pflanzenteile erschlaffen, sobald die Wasserzufuhr unterbrochen ist.

Ausgedehnte spezialisierte Stützgewebe kommen nur bei den Kormophyten (Gefäßpflanzen) vor. Zwar gibt es auch riesige marine Braunalgen (Tange, z.B. Macrocystis, Laminaria), aber es ist nicht eine einzige terrestrische Alge bekannt, deren Thallus sich um mehr als eine oder wenige Zellagen über seine Unterlage erhebt.

Die Kormophyten enthalten bis zu drei Typen von Stützgeweben:

  1. das Kollenchym, ein Gewebe aus lebenden Zellen,

  2. das Sklerenchym, ein Gewebe aus fast immer abgestorbenen Zellen, und

  3. das Leitgewebe, bestehend aus lebenden und aus abgestorbenen Zellen, dem außer der Stützfunktion die Aufgabe des Transports und der Verteilung von Wasser, Nährstoffen und Assimilaten zukommt.

Leitgewebe werden üblicherweise als eigenständige Gewebe betracht; sie werden im zweiten Teil dieses Themas behandelt. Mit steigender Organisationshöhe der Kormophyten nimmt der Anteil toter Zellen im Vegetationskörper zu. Bei den Moosen gehören sie zu den Ausnahmen, bei den Phanerogamen sind sie weit verbreitet. Meist sind es langgestreckte (prosenchymatische) Zellen, die parallel zur jeweiligen Organachse orientiert und oft zu Bündeln (Fasern) vereint sind. Schon in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts konstatierte der Tübinger Botaniker H. v. MOHL, daß solche Fasern stets aus normalen lebenden Zellen hervorgegangen sind.

Stütz- und Festigungsgewebe liegen meist an der Peripherie pflanzlicher Organe (z.B. des Stengels, der Blattstiele usw.). Sind die Zellen zu Schichten vereint, entstehen Hohlzylinder, deren Stabilität bekanntlich höher ist als die von Stäben gleichen Durchmessers. In gerippten oder kantigen Stengeln sind Stützgewebe auf die Rippen bzw. Ecken konzentriert. In submers lebenden Kormophyten sind sie auf ein Minimum reduziert.


Kollenchym

Das Kollenchym besteht aus lebenden, meist prosenchymatischen, oft chloroplastenhaltigen Zellen. Wie zahlreiche Übergangsformen belegen, leitet es sich vom Parenchym ab. Die Differenzierung ist reversibel; eine Rückbildung zu Meristemen wurde wiederholt beobachtet. Die Wände der Kollenchymzellen sind durch Cellulose- und Pektinauflagerungen verstärkt, wobei sich die Verstärkung oft auf einzelne Seiten oder Ecken der Zellen beschränkt. Ihre Wände sind von Tüpfeln durchbrochen, welche oft in Gruppen (Feldern) angeordnet sind.

Auf Vorschlag des Berliner Botanikers C. MÜLLER (1890) unterscheidet man zwischen verschiedenen Typen. Die bekanntesten sind:

  1. Eckenkollenchym / Kantenkollenchym. In Querschnitten ist eine Verstärkung der Zellecken zu sehen. In Längsschnitten wird deutlich, daß die Zellen gestreckt sind und daß sich die Verstärkung über die gesamte Zellänge erstreckt. Daher ist es sinnvoller, von Kantenkollenchym zu sprechen. Der Stengelquerschnitt von Begonia rex oder verwandter Arten ist das Standarddemonstrationsobjekt in mikroskopisch-botanischen Übungen. Ecken-/Kantenkollenchyme kommen u.a. auch bei Arten aus den folgenden Gattungen vor: Ficus, Vitis, Ampelopsis, Polygonum, Beta, Rumex, Boehmeria, Morus, Cannabis, Pelargonium u.a.

  2. Plattenkollenchym. Bei diesem Kollenchymtyp sind die Tangentialwände stärker als die Radialwände verdickt. Demonstrationsobjekt: Sambucus nigra. Alternativen: Arten der Gattungen Sanguisorba, Rhoeo, Eupatoria.

  3. Lückenkollenchym. Während die Interzellularräume bei den beiden vorangegangenen Typen gar nicht oder kaum ausgeprägt sind, sind sie hier sehr groß. Zwischen den Zellen sind daher deutliche Lücken erkennbar. Vorkommen: Arten aus den Gattungen Lactuca, Salvia, Prunella, und der Familie der Compositen.

In Stengelquerschnitten erscheint das Kollenchym vielfach als peripherer Ring, der je nach Art entweder der Epidermis direkt unterlagert ist oder durch eine oder wenige Parenchymschichten von ihr getrennt ist. In der Regel ist es mehrschichtig.

In kantigen oder gerippten Stengeln bildet es Stränge, die an den Ecken oder in den Rippen verlaufen. Oft ist entweder das Phloem oder das Xylem der Leitbündel mit kollenchymatischen Zellen assoziiert. Die Form und die Anordnung der Zellen bedingen eine hohe mechanische Festigkeit des Gewebes, deren Belastbarkeit mit 10-12 kg / mm2 angegeben wird. Es gilt als das typische Stützgewebe wachsender und sich streckender Pflanzenteile, bleibt aber auch in ausdifferenzierten oeweben (Stengeln, Blattstielen, Blattspreiten, Wurzeln, usw.) bei gleicher Struktur und Funktion erhalten.

Die Zellwände verhalten sich plastisch, sind also durch Dehnung verformbar. Diese Eigenschaft ist gerade in wachsenden Pflanzenteilen vorteilhaft. Die Kollenchymzellen können sich deshalb synchron mit den übrigen Zellen strecken, ohne daß die Festigkeit der Gewebe dadurch beeinträchtigt wird. Durch den gleichzeitigen Einbau von zusätzlichem Wandmaterial wird der neue Zustand stabilisiert.


Sklerenchym

Im Gegensatz zum Kollenchym besteht ausdifferenziertes Sklerenchym aus abgestorbenen Zellen mit extrem verdickten Wänden (Sekundärwänden), die bis zu 90 Prozent des gesamten Zellvolumens einnehmen können und aus Cellulose und/oder Lignin, der Grundsubstanz des Holzes, bestehen. Üblicherweise unterscheidet man zwischen den Fasern (Sklerenchymfasern) und den Sklereiden. Der Unterschied ist nicht immer eindeutig. Übergänge kommen vor und sind selbst innerhalb einer Pflanze nachweisbar.

Fasern: Unter Fasern versteht der Botaniker prosenchymatische Sklerenchymzellen, die in der Regel zu Bündeln vereint sind. In der Umgangssprache werden solche Bündel oder die Gesamtheit der Bündel - etwa die eines Stengels - als Fasern bezeichnet. Wegen ihrer hohen Belastbarkeit und der Leichtigkeit, mit der sie verarbeitet werden können, werden sie seit dem Altertum für verschiedenartige Zwecke genutzt (Taue, Textilien, Matratzen usw.). Die Fasern von Linum usitatissimum (Flachs) sind in Europa und Ägypten seit über 3000 Jahren bekannt, die von Cannabis sativa (Hanf) in China ebenso lange. Diese Fasern (hinzu kommen die aus Corchorus capsularis [Jute] und Boehmeria nivea [Ramie, einer Nessel]) sind extrem weich und elastisch (Weichfasern) und eignen sich deshalb für die Verarbeitung zu Textilien. Die Zellwände bestehen vorwiegend aus Cellulose.

Dem stehen die Hartfasern gegenüber, die vornehmlich bei den Monokotyledonen zu finden sind. Typische Beispiele: Fasern vieler Gramineen; Agaven (Sisal: Agave sisalana); Lilien (Yucca, dann aber auch Phormium tenax [Neuseelandflachs]), Musa textilis (Manilahanf, eine Verwandte der Banane) u.a. Ihre Zellwände enthalten neben der Cellulose einen hohen Ligninanteil. Die Belastbarkeit der Neuseelandflachsfasern liegt bei 20-25 kg / mm2 und erreicht damit den gleichen Wert wie ein guter Stahldraht (25 kg / mm2). Die Faser reißt jedoch bei der geringsten Überlastung, während der Draht weit darüber hinaus belastet werden kann. Er verformt sich dabei zwar (plastisch), reißt aber erst bei einer Belastung von 80 kg / mm2.

Der Verdickungsprozeß einer Zellwand wurde u.a. bei Linum studiert. Die Verdickungen der Sekundärwand bestehen aus Schichten, die, von der Fasermitte ausgehend, abgelagert werden. Gleichzeitig verlängert sich die Zelle durch Wachstum an beiden Spitzen. Während der Entwicklung erscheinen die Sekundärwandschichten als Röhren, von denen die ältere (äußere) stets länger als die nächstfolgende ist. Nach Abschluß des Wachstums können die fehlenden Abschnitte ergänzt werden, wodurch sich die Wand gleichmäßig bis in die Faserspitzen hin verdickt.

Meist entstehen Fasern aus meristematischem Gewebe. Das Kambium und das Prokambium sind die Hauptbildungsorte. Oft sind sie mit dem Xylem der Leitbündel assoziiert. Xylemfasern sind immer verholzt. Es gibt sichere Hinweise darauf, daß die Faserzellen im Verlauf der Evolution aus den Tracheiden hervorgegangen sind. Im Lauf der Faserevolution nahm die Wandstärke zu, die Tüpfel wurden verkleinert, und die Eigenschaft, Wasser zu leiten, ging verloren.

Zu den extraxylären Fasern gehören die Bastfasern (außerhalb des Kambiumringes gelegen), sowie Fasern, die in charakteristischen Mustern an den verschiedensten Stellen des Sprosses angeordnet sind.

Sklereiden: Sklereiden treten in unterschiedlichen Formen auf. Die Zellen können isodiametrisch, prosenchymatisch, gegabelt oder bizarr verzweigt sein. Sie können zu Bündeln vereint sein, komplette peripher gelegene Hohlzylinder ausbilden oder als Einzelzellen oder Zellgruppen im parenchymatischen Gewebe auftreten. Charakteristische Beispiele hierfür sind die Steinzellen (wegen ihrer Härte so genannt) im Fruchtfleisch der Birne (Pyrus communis) und der Quitte (Cydonia oblonga) sowie im Sproß der Wachsblume (Hoya carnosa). Die Zellwände erfüllen nahezu das gesamte Zellinnere; eine Schichtung und die Ausbildung von oft verzweigten Tüpfeln ist meist deutlich erkennbar. Die Schalen vieler Samen (z.B. der Nüsse) und die Kerne z.B. der Kirschen und Pflaumen bestehen aus Sklereiden.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de