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Wachstumsbewegungen - Turgorbewegungen; circadiane Rhythmik




Im Unterschied zu den meisten tierischen Organismen, sind alle mehrzelligen und viele einzellige Pflanzen ortsgebunden. Dennoch wird in der botanischen Literatur seit dem Altertum von pflanzlichen Bewegungen gesprochen. Das Sichhinwenden zur Sonne wurde als ein Argument für die Existenz einer pflanzlichen Seele herangezogen. THEOPHRAST beschreibt eingehend das Öffnen und Schließen von Blüten, das Heben und Senken von Blättern zu gewissen Tageszeiten und unter dem Einfluß des Tag-Nacht-Wechsels. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist das Abknicken der Fiederblätter der "Sinnpflanzen". Vermutlich lag THEOPHRASTs Beobachtungen die ägyptische Mimosa asperata zugrunde.

Erst im 17. Jahrhundert begann man sich dafür zu interessieren, wie die Bewegungen zu erklären seien. Der Engländer J. RAY charakterisierte 1686 die Pflanzen in seiner "Historia plantarum" als empfindungslose Geschöpfe und führte die wahrgenommenen Bewegungen auf rein physikalische Mechanismen, wie Wasseraufnahme oder Wasserverlust zurück.

R. HOOKE nahm an, das Absenken der Fiederblätter der Mimose nach Berührung beruhe auf einem nach unten gerichteten Wasserfluß, der durch Druck des Reizes verursacht wird. Er postulierte, daß es an der Basis des Fiederblattstielchens Kugelgelenke geben müsse, die über Wasseraufnahme und Wasserverlust bewegt werden. Wie wir später noch sehen werden, kam er mit der Erklärung dem tatsächlichen Mechanismus bereits recht nahe.

In den Botaniklehrbüchern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde den Bewegungen ein nur geringer Platz eingeräumt. A. de CANDOLLE (1834/38) unterschied zwischen

der Richtung der Pflanzen und ihrer Teile: Senkrechte Richtung der Wurzeln und Stengel, Streben der Stengel und Zweige zum Licht, und

den eigentlichen Bewegungen der Pflanzen, wobei er zwischen den regelmäßigen (Schlafbewegungen der Blätter, Öffnen und Schließen einiger Blüten, Bewegung der Sexualorgane u.a.) und den zufälligen oder unregelmäßigen Bewegungen (Beispiel: Mimose) differenziert.



Die Blütenköpfchen sind bei Sonnenschein geöffnet, in der Nacht und bei Regenwetter geschlossen (Schutz des Pollens). A. Kerner v. MARILAUN: "Pflanzenleben", 1913


Obwohl der Begriff "Schlaf" benutzt wurde, schrieb er:

"Die Ähnlichkeit mit dem Schlaf der Tiere ist nur scheinbar, denn die Stellung, die die Blätter annehmen, ist eine ganz bestimmte, und die Starrheit ihrer Blattstiele läßt sich nicht mit der Erschlaffung und Biegsamkeit, die unsere Glieder während des Schlafs zeigen, vergleichen."

Den zufälligen Bewegungen rechnete er auch das in der späteren botanischen Literatur vielzitierte Beispiel der Desmodium gyrans (Hedysarum gyrans) zu. Deren Blätter bestehen aus drei Blättchen (Fieder), von denen die zwei seitlichen in beständiger, ruckweiser Bewegung sind. Das eine steigt, während sich das andere senkt; der Bogen, den ein jedes durchläuft, beträgt ungefähr 50°. Die Bewegungen gehen ohne eine sichtbare Ursache vor sich.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Bewegungsabläufe und ihre Ursachen systematisch analysiert. Die wichtigsten Beiträge lieferten C. DARWIN, J. v. SACHS und W. PFEFFER. SACHS unterschied in seinen "Vorlesungen über Pflanzenphysiologie" (2. Aufl., 1887) zwischen den

amöboiden Bewegungen,
den Bewegungen des Protoplasmas (Zirkulation des Plasmas, der Chloroplasten und anderer Inhaltsstoffe),
den Schlafbewegungen der Laub- und Blumenblätter,
der Reizbarkeit von Mimosen und anderen Fällen (Turgeszenz und Volumenänderung bei der Reizung),
dem Winden der Ranken und Schlingpflanzen und
dem Geo- und Heliotropismus.

Bewegungen, welcher Art auch immer, sind energieverbrauchend. Dazu J. v SACHS:

"Die chemischen Vorgänge und molekularen Bewegungen, aus denen das Leben der Pflanzen ebenso wie das der Tiere besteht, vollziehen sich nur so lange, als der freie Sauerstoff der Atmosphäre in sie eindringen kann. Wird ihnen die Zufuhr dieses Gases abgeschnitten, so werden die das Wachstum bewirkenden inneren Bewegungen sistiert, die Strömungen des Protoplasmas, im welchem wir den direktesten Ausdruck des Lebens finden, hören auf, die periodischen Bewegungen von Laubblättern und Blütenteilen stehen still, die durch Erschütterung reizbaren Organe verlieren ihre Empfindlichkeit."

Heute sind verschiedene Klassifikationen geläufig, nach denen pflanzliche Bewegungen eingeteilt werden. Man unterscheidet einmal zwischen den autonomen (endogenen) und den induzierten Bewegungen. Erstere laufen auch ohne erkennbaren äußeren Anlaß ab, letztere sind als Reizbewegungen einzustufen, und diese wiederum teilt man in Tropismen, Nastien und Taxien ein, wobei man in jeder Gruppe zwischen positiven und negativen Reaktionen differenzieren muß. Zudem unterscheidet man Bewegungen aufgrund der Reizursachen.

Tropismen sind Richtungsbewegungen, bei denen ein klarer Zusammenhang zwischen der Bewegungsrichtung und der Richtung des steuernden Außenfaktors (Signals) erkennbar ist. Die klassischen Beispiele sind der Phototropismus und der Geotropismus.

Nastien sind Bewegungen, deren Richtung von der Richtung des steuernden Signals unabhängig sind. Beispiel: Seismonastie der Mimose. Das Zusammenklappen der Blattfieder und der Blätter erfolgt nicht in Richtung des Berührungsreizes.

Taxien beruhen auf freien Ortsbewegungen, die entweder auf eine Reizquellezu oder von einer Reizquelle weg gerichtet sind.

Zum Verständnis der Bewegungen muß man klar zwischen der Ursache der Bewegung, der Informationsweitergabe und dem eigentlichen Bewegungsablauf trennen. An anderer Stelle haben wir uns bereits ausgiebig mit intrazellulären Bewegungen und freien Ortsbewegungen (und damit auch mit den Taxien) befaßt. Die molekularen Mechanismen der Bewegungsabläufe sind zwar bei weitem noch nicht vollständig erfaßt. Doch ist man auf dem besten Wege zur Klärung, und einige Modellvorstellungen, die man aufgrund der Analyse tierischer Zellen entwickelt hat, erwiesen sich als brauchbare Arbeitshypothesen. Stets sind kontraktile Elemente (Mikrotubuli und/oder Mikrofilamente) mit im Spiel.

Im Gegensatz zu den intrazellulären Bewegungen, beruhen die nachfolgend zu behandelnden Bewegungen von Pflanzen oder ihrer Teile vorwiegend auf lokalem Wachstum und auf Änderungen des Turgors, d.h., des osmotischen Drucks in den an der Bewegung beteiligten Zellen. Daneben sind Quellungs- und Kohäsionsbewegungen zu nennen, die sich durch die physikalisch-chemischen und strukturellen Eigenschaften der Zellwände erklären lassen.

Man unterscheidet zwar rein formal aufgrund einiger gut gewählter Beispiele zwischen den irreversiblen Wachstumsbewegungen und den in vielen Fällen reversiblen Turgorbewegungen; allerdings sind beide Prozesse, wie wir noch sehen werden, in der Regel - vor allem in vielzelligen Pflanzenteilen - auf die gleichen Ursachen zurückzuführen. Ebenso sind Bewegungs- und Entwicklungsphysiologie der Pflanzen eng miteinander verflochten, und die beiden Begriffe sind oft nichts anderes als zwei Ansichten des gleichen Problems.

Wachstum kann als eine irreversible Volumenzunahme beschrieben werden und wie schon früher dargelegt, unterscheidet man zwischen einem Teilungs- und einem Streckungswachstum. An dieser Stelle können wir uns ausschließlich auf letzteres konzentrieren. Teilungsfähige Zellen enthalten in der Regel keine oder nur kleine Vakuolen, in streckungsfähigen erreicht die Vakuole ihre volle Größe und damit die Kapazität zur maximalen Wasseraufnahme.

Die Zellwände streckungsfähiger Zellen enthalten neben einer elastischen (=reversibel dehnbaren) eine plastische (= irreversibel dehnbare) Komponente. Plastizität wiederum beruht auf der Eigenschaft, neues Wandmaterial in eine gedehnte Zellwand einzulagern und somit den Zustand zu stabilisieren. Eine Folge davon ist die Vergrößerung der Zellwandoberfläche und damit auch des Zellvolumens. Wände ausdifferenzierter Zellen können sich noch elastisch dehnen, aber kein oder nur bedingt Wandmaterial inkorporieren. Nach Wegfall eines intrazellulären osmotischen Drucks kehren sie daher in ihre Ausgangslage zurück. Die Qualität der Zellwände bestimmt also primär, ob eine Turgorzunahme der Zelle zu einem irreversiblen Zellwachstum oder zu einer reversiblen, temporären Größenzunahme führt. Beide Phänomene rufen im Gewebeverband der Pflanze lokale Deformationen hervor, die eine Hebelwirkung auf benachbarte Teile (Gewebe) ausüben. Dadurch verändert sich ihre Position im Raum, und diese Änderungen nehmen wir als Bewegungen zur Kenntnis.

Zeigen gegenüberliegende Seiten eines Organs, vorübergehend oder über einen längeren Zeitraum hinweg, unterschiedliche Wachstumsraten, ändert sich zwangsläufig die Wachstumsrichtung; das Organ krümmt sich, und man spricht von einer Wachstumsbewegung. Paradoxerweise ist dieser Ausdruck in der Zoologie weniger geläufig, obwohl es gerade in der tierischen Keimesentwicklung (im Gegensatz zur pflanzlichen) echte Verlagerungen von Zellen (ohne nennenswerte Volumenänderungen) gibt. Man denke dabei nur an die Bildung der Gastrula (Gastrulation) oder die Abschnürung des Neuralrohrs (Neurulation).

Wie eingangs dargelegt, wird zwischen Tropismen und Nastien unterschieden. Der Phototropismus und der Geotropismus z.B. kommen in typischer Ausprägung in radiärsymmetrisch gebauten Organen (Sproßachse, Achse der Hauptwurzel) zur Wirkung, Nastien in der Regel in dorsiventral gebauten. Der dorsiventrale Bau eines Organs ist der Ausdruck einer asymmetrischen Anordnung einzelner Gewebetypen (Beispiel Blatt) , woraus folgt, daß die einzelnen Gewebe eine unterschiedliche Ausdehnungskapazität haben und daß damit bei ungleichem Wachstum der beiden Flanken (oben/unten) eine Bewegungsrichtung vorprogrammiert ist, die von der Reizrichtung unabhängig ist. Das heißt natürlich auch, daß eine Bewegung auf einen Reiz hin in erster Linie aus dem anatomischen Bau eines Organs und damit seinen mechanischen Eigenschaften ableitbar ist.

Die meisten Turgorbewegungen unterscheiden sich von den typischen Wachstumsbewegungen durch ihre Reversibilität. Bei der Wasseraufnahme der Zellen und der sich daraus ergebenden Turgorerhöhung wird ein Druck auf die Wand ausgeübt, und die Zelle vergrößert sich in bestimmten Grenzen, weil die Wand einen gewissen Grad an Elastizität aufweist. Wie an anderer Stelle gezeigt, wirkt der osmotische Druck der Nachbarzellen der Ausdehnung einer Einzelzelle entgegen. Nimmt der Druck in benachbarten Zellen in gleicher Weise zu, baut sich in der Summe eine beträchtliche Gewebespannung auf, die ihrerseits eine Deformation des Zellverbands nach sich ziehen kann. Die Verformung wird nunmehr zum Auslöser der räumlichen Verlagerung ganzer Pflanzenteile. Gelegentlich sind die an der Bewegung beteiligten Zellen von unterschiedlich dicken Zellwandseiten umgeben, so daß sich der Druck gerichtet ausbreitet. Die Bewegung der Schließzellen in der Epidermis ist das Paradebeispiel hierfür.

Turgorbewegungen sind jedoch nur dann reversibel, wenn der osmotische Druck in den Zellen des Bewegungsgewebes nach einer gewissen Zeit auch wieder absinken kann. Solche Änderungen finden wir in einigen Blattstielgelenken, die ein tagesperiodisches Heben und Senken von Blättern nach sich ziehen.

Es gibt aber auch andere Fälle (Gewebe), in denen sich ein osmotischer Druck aufbaut, der Spannungen verursacht, welche durch physiologische Vorgänge nicht wieder rückgängig gemacht werden. Nach Überschreiten eines kritischen Maximalwerts wird der Druckausgleich durch Reißen des Gewebes (oft an Sollbruchstellen) erreicht. Hierdurch erklären sich Schleuder- und Explosionsbewegungen , die bei einigen Früchten zu beobachten sind und deren biologischer Wert in der Samenausbreitung zu suchen ist.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de